Journalisten im Kanzleramt, wenn auch nur als Thema

Journalisten im Kanzleramt, wenn auch nur als Thema
Die Ereignisse in Griechenland und deren Auswirkungen auf die Eurozone stehen im Mittelpunkt dieses Tages. Dafür gibt es gute Gründe. Aber das schleichende Gift namens Eingriff in die Pressefreiheit droht jede Form der Berichterstattung zu kontaminieren. Es bedroht die Machtbalance zwischen Staat und demokratische Öffentlichkeit.

Was wäre wohl passiert, wenn die Kubakrise und die Spiegel-Affäre zum gleichen Zeitpunkt stattgefunden hätten? Sicher wäre die Verhaftung Rudolf Augsteins am 26. Oktober 1962 unter verhaltenen Protest der Öffentlichkeit vollzogen worden. Nur fand diese Verhaftung auf dem Höhepunkt der Kubakrise statt. Der in Spanien verhaftete Spiegel-Redakteur Conrad Ahlers formulierte das knapp drei Jahre später im Blatt so:

„Die Kuba-Krise war für Strauß Chance und Vorwand zugleich, eine Verschwörung auszuheben, die nur in seiner Vorstellung bestand und sich nur aus einem krankhaften Verfolgungswahn erklären läßt.“

Angesichts eines drohenden Atomkrieges zwischen den beiden Supermächten und ihren Militärbündnissen hätte sich verständlicherweise niemand für diesen Angriff auf die Pressefreiheit interessiert. So war es nicht nur für den Spiegel, aber für ihn ein ganz besonderes Glück gewesen, dass zwei Tage später die Kubakrise mit der Einigung der Supermächte beendet worden war. Mit der Erleichterung über das Ende der Krise begann zugleich die Empörung über diesen Angriff auf die Pressefreiheit. Die Folgen kennt man. Strauß trat zurück und der Spiegel wurde zu einer Institution des deutschen Journalismus.

Am Wochenende stand Griechenland aus den bekannten guten Gründen im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Hier bahnt sich eine historische Wende in der europäischen Politik an. Damit ist in den Hintergrund jene Spiegel-Geschichte, die es ohne die Griechenland-Krise noch prominenter auf den Titel des Spiegel hätte schaffen müssen. Hier wird nämlich deutlich, wie sich die Machtverhältnisse in einer Gesellschaft verschoben haben, die auf Machtbalance angewiesen ist. Im Kanzleramt gab es im Sommer 2011 ein Gespräch zwischen dem Abteilungsleiter des für Geheimdienste zuständigen Beamten und dem Berliner CIA-Residenten.

„Im Kanzleramt, behauptete der CIA-Resident, gebe es einen hochrangigen Mitarbeiter, der enge Kontakte zu Journalisten pflege und dabei Dienstliches ausplaudere. … . Dem Geheimdienstkoordinator muss damit bewusst gewesen: Die USA bespitzeln das Regierungszentrum der Bundesrepublik Deutschland, und sie sammeln Informationen über die hiesige Presse.“

Das können sie natürlich tun. Etwa jetzt schon am Samstag den Spiegel lesen. Es gab auch früher zahllose Versuche von Geheimdiensten, die Medien in ihrem Sinne zu beeinflussen. Konventionell durch das Durchstechen von Informationen. Auch durch V-Leute in Verlagen und Redaktionen. Im Watergate-Skandal setzte der damalige US-Präsident Richard Nixon sogenannten Klempner ein, um nach Lecks in der eigenen Administration zu suchen und Informanten wie Daniel Elsberg unter Druck zu setzen. Die Öffentlichkeit konnte sich gegen solche Versuche wehren, wie bei Strauß und Nixon. Nur gibt es einen entscheidenden Unterschied zu heute: Die damals beschränkten technischen Möglichkeiten der Geheimdienste. Das Öffnen von Briefen oder das Abhören von Telefonen ließ sich nur begrenzt einsetzen. Dem konnte man sich Betroffene auch relativ einfach entziehen. Solche rechtswidrigen Praktiken beinhalten zudem ein hohes politisches Risiko, wie der Fall des Atomphysikers Klaus Traube deutlich machte. Insofern war das Machtgleichgewicht zwischen den machtpolitischen Interessen der Regierung und dem der Öffentlichkeit an der Einhaltung rechtsstaatlicher Standards gewahrt, wenn auch immer prekär gewesen.

Das ist vorbei, wie der Spiegel in seiner Story deutlich macht. Regierungen können nicht nur technologisch viel mehr als früher. Es gibt auch niemanden mehr, der ihnen institutionelle Schranken setzt. Im Spiegel-Artikel liest das so:

„Je mehr Details in diesen Tagen bekannt werden, um so deutlicher wird, wie deutsche Regierungsvertreter den Amerikanern bei deren Rechtsbrüchen zusahen, sie gar unterstützten, als gäbe es eine Internationale der Nachrichtendienste, die kein gesetzlichen Grenzen kennt, sondern nur Kumpanei und Konspiration.“

Es geht dabei nicht mehr nur um die Paranoia einzelner Politiker wie Strauß oder Nixon. Damit könnte man leben. Machtmissbrauch ist so alt wie das Phänomen der Herrschaft selbst. In Demokratien leben nicht die besseren Menschen als in Diktaturen. Nur werden Mächtige durch den Rechtsstaat in ihren Möglichkeiten eingeschränkt. Nicht weil sie sich dann an Regeln halten, sondern sie die Sanktionierung durch den Machtverlust fürchten müssen. Niemand kann sich dem entziehen, wenn er nicht den Rechtsstaat selber abschaffen will. Dafür braucht man keinen Richter, sondern vor allem die kritische Öffentlichkeit. Sie erzwingt die Unterordnung unter den Rechtsstaat. Wie ist das aber noch möglich, wenn folgendes zutrifft?

„Denn wenn es zutrifft, dass ein ausländischer Geheimdienst die Recherchen von Journalisten in Deutschland überwacht und anschließend das Kanzleramt darüber in Kenntnis setzt, dann stellt dieser Vorgang die Pressefreiheit in dieser Republik grundsätzlich in Frage. … . Eine Berichterstattung ist dann nicht mehr frei, wenn Journalisten Gefahr laufen bei ihren Recherchen ausspioniert zu werden; wenn sie damit rechnen müssen, dass ihre Gesprächspartner der Bundesregierung gemeldet werden.“

Das wird Verhaltensänderungen bewirken. Wenn das Selbstverständliche nicht mehr gilt, wird man sich an diese Bedingungen anpassen. Es wirkt wie ein schleichendes Gift und zersetzt das Vertrauen in die kritische Berichterstattung. Es ist das, was man mit Markus Feldenkirchen im Spiegel-Leitartikel als „Naivität“ bezeichnen kann, als „Glauben an Fairness“, allerdings vor allem innenpolitisch. Das ist mittlerweile ins Rutschen gekommen - und dieser Fall nur einer aus einer langen Reihe seit den Enthüllungen von Edward Snowden. Das Ziel muss aber sein, dass Machtgleichgewicht zwischen Exekutive und Öffentlichkeit in dieser Gesellschaft wieder zurückzugewinnen. Das bedeutet die Regulierung nicht nur der Geheimdienste den neuen technischen Möglichkeiten anzupassen.

+++ Im Schatten der Griechenland-Krise tagte auch das Netzwerk Recherche in Hamburg. Sie verliehen nicht nur die „Verschlossene Auster“ an den Hoflieferanten der Bundeswehr, Heckler & Koch. Der Anlass war deren Versuch, unliebsame Journalisten in der Debatte um das G-36 vom MAD überwachen zu lassen. Zudem konnten die Kollegen einen besonderen Gast begrüßen: Den Präsidenten des BND, Gerhard Schindler. Vor dem Hintergrund der Spiegel-Geschichte ist das von besonderem Interesse, wenn auch das Kanzleramt in diesem Fall die tragende Säule des Vorfalls gewesen ist. Der Begriff Skandal hat sich ja schon abgenutzt. Schindler machte laut Handelsblatt den Kontext deutlich, indem sich Nachrichtendienste bewegen.

„Schindler forderte eindeutige Regeln für die Geheimdienstarbeit. „Die Angehörigen des BND wollen klare gesetzliche Grundlagen.“ Seine Behörde verstoße nicht gegen geltendes Recht. „Für Nachrichtendienste gibt es ein Sonderrecht, und das gilt.“

Nur welche Bedeutung haben diese Sonderrechte angesichts der technologischen Entwicklung? Sie werden legitimiert mit den sicherheitspolitischen Interessen des Staates. Diese werden immer zu einer Nutzung der technischen Möglichkeiten führen. Sicherheit ist schließlich ein Bedürfnis, das niemals vollständig zu befriedigen ist, selbst wenn Innenpolitiker ein Restrisiko nie ausschließen wollen. Eindeutige Regeln können somit nur solche sein, die diesen Anspruch in Frage stellen. In der Terminologie der Geheimdienste also die Risiken erhöhen. Nur ist das die Folge jeder rechtsstaatlichen Begrenzung staatlichen Handelns. Das gilt in gleicher Weise für die Polizei bei der Verbrechensbekämpfung. Nur ist seit 9/11 das Bewusstsein dafür verloren gegangen. Die Politik erhob jetzt für die Nachrichtendienste den Anspruch, dass diese Grenzen für sie nicht mehr gelten müssen. Das machte nicht zuletzt der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe deutlich.


Altpapierkorb

+++ Nicht nur Heckler@Koch erhielten auf der Jahrestagung des Netzwerks Recherche einen Preis. Ulrich Chaussy bekam den Leuchtturm-Preis für seine hartnäckigen Recherchen zum Attentat auf das Münchner Oktoberfest im Jahr 1980. „Hartnäckig“ ist ein fast schon beschönigendes Wort. Er musste mit unzähligen Widerständen kämpfen, auch jene Tiefpunkte überwinden als der Beton der Politik über die Hintergründe dieses Attentats scheinbar nicht zu durchdringen war. Ein Interview mit dem Preisträger findet man auf Deutschland-Radio Kultur.

+++ In Hamburg diskutierten zudem Jakob Augstein, Hans Leyendecker und Carolin Emcke über den Vorwurf der Lügenpresse. Die Lügenpresse sei müde. Wenigstens beim Thema Lügenpresse, so Meedia in seinem Bericht. Zwar beklagte Augstein den Konformismus in den Redaktionen. Aber Leyendecker empfahl Gelassenheit: „Dem widersprach immerhin Hans Leyendecker. Für den Investigativ-Star der SZ ist der Hauptgrund, warum so viele Leser frustriert von den Medien sind, dass es zum einen zu viele Beispiele für Katastrophen oder Nachrichtenlagen gebe, die die Journalisten nicht haben kommen sehen und zum anderen, dass heute viel zu viele Meldungen gemacht werden, die noch nicht einmal bis zur Tagesschau Bestand hätten. Auf der Jagd nach neuen Infos würde viel Material ungeprüft, viel zu früh veröffentlicht. Die Folge der verärgerten Leser und Zuschauer: unzählige, unflätige Anfeindungen im Web. Leyendeckers Bekenntnis dazu: “Mich berührt das Netz überhaupt nicht. Böse E-Mails lösche ich einfach. Dann ist es, als ob sie nie da gewesen wären.” Er würde auch nicht schauen, was einer über ihn schreibt. >>Ich nehme mich nicht so wichtig<<.” Den Eindruck hatte man zwar nicht immer. Aber in den sozialen Netzwerken ist eine Form der Selbstreferentialität entstanden, die jedes Thema nur noch aus der eigenen Sichtweise zu beschreiben weiß. Der Unterschied zwischen eigener Meinung und institutionell gebundener Verantwortung der Politik droht in dieser Selbstrefentialität zu verschwinden. Gerade in der Debatte über Griechenland ist das zu beobachten.

+++ Deshalb ist die vielfältige Kritik an der Bild so berechtigt wie nutzlos. Sie teilt die Selbstreferentialität in sozialen Medien und stellt sich selbst in den Mittelpunkt des politischen Universums. Der Standard zitiert den Vorsitzenden der DJV, Michael Konken: „Für die "Bild"-Aktion erntet Diekmann harsche Kritik vom deutschen Journalistenverband. "Diekmann entfernt sich damit zum wiederholten Mal von seinem Auftrag als Journalist und macht selber Politik. Das ist nicht seine Aufgabe. Journalisten sollen Informationen anbieten, einordnen und erklären", sagt Michael Konken, Bundesvorsitzender des Deutschen Journalistenverbandes in einer Aussendung. "Die Art und Weise wie die Zeitung seit Monaten versucht, vor und hinter der Grenzlinie zwischen Journalismus und politischer Aktion Stimmung zu machen, ist so nicht hinnehmbar". Konken weiter: "Statt den Lesern in einer über Europa hinaus reichenden politischen Krise umfassende Informationen und Hintergründe zu liefern, wird hier eine politische Show inszeniert." Es ist allerdings völlig bedeutungslos, ob Kai Diekmann nach dieser Politiksimulation zurücktreten wird oder nicht. Oder ob Diekmann jetzt jeden Unionspolitiker via Twitter zu seiner Meinung zum Grexit fragt. Mittlerweile droht die Kritik an Bild das Gegenteil von dem zu erreichen, was sie eigentlich will. Sie überhöht deren reale Bedeutung im politischen Entscheidungsprozess in Berlin oder Brüssel. Wie sinnvoll kann es dann sein, etwa die Griechenland-Krise so zu diskutieren als wenn im Kampf mit Diekmann die wichtigen politischen Entscheidungen getroffen werden?

+++ Ronnie Grob wird die Rubrik „6 vor 9“ auf dem hoch geschätzten Bildblog beenden. Er formuliert heute einige Erkenntnisse, die auch die Grenzen der Medienkritik betreffen. Es betrifft nicht nur die immer gleiche Debatte über die Zukunft des Journalismus, die er anspricht. Oder der Arbeitsaufwand für eine solche Kolumne, der im Altpapier in gleicher Weise zu veranschlagen ist wie beim Bildblog. Grob schreibt seinen Lesern folgende Sätze ins Stammbuch, wenn das auch nur noch als App existieren wird: „Bei einigen Verlinkungen wusste ich schon im Voraus, dass sie mehrere kritische E-Mails nach sich ziehen werden. Gut stehen die Chancen zum Beispiel, wenn überzogene Politische Korrektheit mit guten Argumenten in Frage gestellt wird. Sagen wir es so: Meinungs- und Redefreiheit in Deutschland gilt schon. Aber eigentlich vor allem dann, wenn es auch «stimmt», was gesagt wird. Alle anderen sollten besser mal schweigen. Die Sichtweise auf die Redefreiheit in Deutschland ist eine ganz andere als die angelsächsische geprägte, wahrhaft liberale Freedom of Speech.“ Dem ist heute nichts hinzuzufügen. Außer das: Auf die anregenden Texte von Ronnie Grob wird man hoffentlich auch in Zukunft nicht verzichten müssen. Er braucht dafür übrigens noch nicht einmal links.

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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