#4in

#4in
Inhalteindustrie-Innovationsintendant müsste man sein ... Neu im Kino: Nicht direkt "Lügenpresse - Der Film", aber ein Reporterfilm über Kleinnager mit Laufrad, der gleich faszinierende Meinungsvielfalt hervorruft. Der echte Spiegel lässt Fossile staunen. Müssen Medienschaffende das Geheimnis ihrer Arbeit bewahren? Außerdem: Zwei Stefans hören auf, zumindest einmal "Schock, Fassungslosigkeit, Tränen".

Kinotipps gehören nicht zu den Services, die das Altpapier regelmäßig bietet, schon weil Medienbeobachter derzeit im Schnitt ja 1,25 Staffeln bahnbrechende Netflix- und HBO-Serien pro Tag angucken müssen, um noch mitzureden können, Tendenz steigend. Aber heute heischt ein aktueller Filmstart die Aufmerksamkeit auch der Medienbeobachter, ein deutscher Journalisten-Film. Ist "Die Lügen der Sieger" gar der Kinofilm zur "Lügenpresse"-Diskussion gewisser Milieus?

Nein, den Titel stiftete ein smarteres Zitat, ein "Vers des Beat-Dichters Lawrence Ferlinghetti, in dem es heißt: 'Geschichte wird gemacht aus den Lügen der Sieger'", informiert die FAZ, auf deren Kritik wir gleich zurückkommen. Erstmal zum deutschen Online-Leitmedium. "Der beste deutsche Polit-Thriller seit Jahren", jubelt Spiegel Online:

"Ein cooler Hund, dieser Fabian Groys (Florian David Fitz). Fährt Vintage-Porsche und verschleudert bei illegalem Glücksspiel schon mal ein Monatsgehalt. Schlendert lässig durch die Redaktionsflure des bedeutenden Nachrichtenmagazins, für das er als Investigativ-Reporter arbeitet."

Um die Bedeutendheit dieses Magazins einzuschätzen, das im Film den fiktiven, schon recht lange freien Printproduktnamen "Die Woche" trägt, ist SPON die richtige Adresse, denn dabei handelt es sich um einen nur ganz leicht verschlüsselten Spiegel, dessen Hauptstadtbüro die Filmemacher, Regisseur Christoph Hochhäusler und Co-Autor Ulrich Peltzer, am Ende des Abspanns auch ausdrücklich danken. Wobei es außer um Reporter eines bedeutenden Mediums auch um

"Lobbyisten und Spin-Doktoren, die tief verborgen im Gestrüpp des Berliner Medien- und Polit-Dschungels agieren",

geht, die ihre ganz andere Arbeit nicht schlechter erledigen als der Reporter es tut. Während spiegel.de also ganz begeistert ist, vielleicht um Befangenheiten zu vermeiden nicht in Gestalt eines angestellten Großkritikers, sondern der des freien Journalisten Oliver Kaever, geht die Süddeutsche Zeitung hart ins Gericht mit Hochhäusler, einem der ganz wenigen deutschen Regisseure, die ab und zu in Deutschland gedrehte Filme beim Festival von Cannes zeigen dürfen:

"Warum das Scheitern von Christoph Hochhäuslers Reporterfilm 'Die Lügen der Sieger' symptomatisch für das Handwerk des deutschen Films ist",

lautet die Überschrift im Feuilleton (S. 12). Tobias Kniebe reißt erst mal die Geschichte des Genres ab ("... klassische Reporterfilme funktionieren nun mal so. Sie sind ein erprobtes, geradezu ehrwürdiges Genre. Es wird sie geben, solange es Printjournalismus gibt, also hoffentlich für immer"). Und dann, nachdem er eine ihm aufgefallene Unwahrscheinlichkeit geschildert hat, wechselt dieser coole Hund mitten im Feuilleton-Artikel auf einmal in die Ich-Form:

"Normalerweise würde man das dann als rätselhaften Unsinn abtun, in diesem Fall aber ließ mir die Sache einfach keine Ruhe. Zumal sich 'Die Lügen der Sieger' sonst recht zugänglich gibt. Ich schrieb also eine Mail an den Regisseur Christoph Hochhäusler, sehr ungewöhnlich für einen Filmkritiker, und bat um Aufklärung. Und es kam sogar eine Antwort: Keinesfalls sei die Praktikantin eine Doppelagentin des Bösen, schrieb Hochhäusler. Vielmehr tippe sie ihre Textbotschaften in dem Glauben, mit ihrer besten Freundin zu kommunizieren. Der Hacker der Schurken habe sich unbemerkt in den Facebook-Account dieser Freundin eingeschaltet, und sie wisse gar nicht, mit wem sie es da wirklich zu tun habe."

Kniebe folgert dann, dass es dem Regisseur nicht gelungen sei, "etwas sehr Komplexes", "eine Kommunikation mit völlig falschen Vorzeichen, über eine geraubte Identität bei Facebook", in seinem Film zu zeigen: "Man deutet das Geschehen zwangsläufig falsch". Vielleicht hat er recht, vielleicht schätzte er (vielleicht unter dem Eindruck der ebenfalls heute in den Kinos anlaufenden Michael-Althen-Doku, deren ziemlich hymnische Kritik in der SZ direkt darüber steht, während eine, die sie als "doch eher missraten" empfindet, in der TAZ steht) seine Deutungs-Stärke als Filmkritiker arg hoch ein. Jedenfalls verreißt er den Film anhand dieses Details, das vielen anderen gar nicht auffiel. Auch mir waren, als ich ihn vor ein paar Wochen sah, bloß andere, weniger wichtige Unwahrscheinlichkeiten aufgefallen.

Dass es "leider oftmals an Plausibilität" fehle, bemängelt auch Peter Körte in seiner faz.net-Kritik, und nicht nur daran:

"Trotz herausragender Bildsprache und analytischer Substanz fehlt dem Film die entscheidenden Emotionen."

Körte findet aber auch Positives daran, etwa wie Hochhäusler "mit visuellen Mitteln von Beginn an eine Atmosphäre der Ungewissheit und latenten Bedrohung" erzeugt. Und allein schon, wie er den von Fitz gespielten Reporter als "Kleinnager mit Laufrad und Spielschulden" beschreibt ist, wie heißt das?, großes Kino.

"Das große Problem von 'Die Lügen der Sieger' ist letztlich, dass diese Bilder, diese Montage, diese Musik allesamt viel klüger sind als der Plot und das Drehbuch", fasst Elena Meilicke pointiert in der Freitag-Kritik zusammen. Die Synthese, in die sich ja auch immer alles fassen lässt, hat Barbara Schweizerhof in der TAZ: Der Film

"findet zu einem berückenden Mix aus Künstlichkeit und Realismus und tastet die Grenzen des investigativen Journalismus heute ab",

über den sich ja auch viele nicht mehr die Illusionen machten, die sie sich früher gemacht hatten.

Wo solche Illusionen natürlich noch leben: beim Journalistengewerkschaftsheft journalist. Dessen Onlineauftritt würdigt den Film bereits aus journalistischer Perspektive, allerdings arg spoilernd. Genrefilme zu gucken, wenn man zuviel von der Handlung weiß, macht ja nun wirklich keinen Spaß. Bzw.: "Medienschaffende müssen das Geheimnis ihrer Arbeit bewahren, um nicht weiter an Bedeutung einzubüßen" (TAZ-Kriegsreporterin gestern, in anderem Zusammenhang, sofern nicht doch alles ein einziger großer Zusammenhang ist).

[+++]  Meanwhile an der Ericusspitze bot ein bedeutendes Nachrichtenmagazin etwas, das "selbst die Fossile unter den Medienjournalisten in Sachen 'Spiegel' noch nicht erlebt" haben (Roland Pimpl, gar nicht solch ein Fossil, bei horizont.net):

"Ein gemeinsames Pressegespräch von Chefredakteur und Geschäftsführer – und zudem noch Geschäftszahlen in ungewöhnlicher Detailschärfe."

Online für alle gibt's eine Pressemitteilung mit "Wachstumsprojekten" im Vorspann und der Ankündigung einer "Restrukturierung, mit der die Personal- und Sachkosten um 15 Millionen Euro gesenkt werden können", im letzten, sechsten Absatz darunter - als sei der Spiegel eine Tageszeitung etwa der Funke-Mediengruppe, die die schlechten Nachrichten immer unter ferner liefen versteckt.

Tatsächlich seien "Entlassungen" (Überschrift der zwölfzeiligen Print-FAZ-Meldung, online ausführlicher) möglich:

"Denkbar ist jedoch alles: Umzüge von Auslandskorrespondenten in günstigere Räumlichkeiten, wovon auch das Berliner Büro betroffen ist, bis hin zu Auslagerungen ganzer Geschäftsbereiche und betriebsbedingten Kündigungen",

schreibt Ulrike Simon, die schon mit vielen Spiegel-Chefredakteuren gesprochen hat, in der Madsack-Presse. Ja, der Spiegel könnte
"in Verlustzeiten schneller als andere Verlage zum Übernahmekandidat werden und seine Eigenständigkeit verlieren" (Pimpl wiederum). Er schöpf aus dem Vollen der raren Geschäftszahlen, wie es auch die SZ-Medienseite tut: 

"Der Umsatz sank seit 2007 um 19 Prozent von 353 Millionen Euro auf 285 Millionen Euro; der Gewinn um 48 Prozent von 48 auf 25 Millionen Euro. Der Erlös aus den Printanzeigen gab seit dem Jahr 2000 um mehr als zwei Drittel nach, und die Auflage rutschte deutlich unter eine Million Exemplare",

nachdem sie ihren Artikel mit den Worten "Früher, als Journalismus noch eine recht sichere Bank war ..." eingeleitet hat.

[+++] Ein ehemaliger Spiegel-Mitarbeiter, der dort aber nicht so recht glücklich geworden war, scheint woanders auch nicht langfristig viel glücklicher geworden zu sein. Stefan Niggemeier verlässt die Krautreporter, vielleicht zu einem Zeitpunkt, an dem es deren Initiator Sebastian Esser (der sich im NDR-"Zapp"-Videointerview noch tapfer zeigte, obwohl bei der Krautreporter-Geburtstagsparty der Wettergott kein Einsehen gehabt hatte ...) richtig weh tut. Vielleicht auch nicht so, wie Esser in einem neueren meedia.de-Text-Interview beteuert.

Jedenfalls zieht Niggemeiers neue Ausmitteilung in seinem Blog:

"'Krautreporter' war und ist ein richtiger Versuch - aber für mich ist er nicht geglückt",

einen Schweif von Weitervermeldungen nach sich, die einen fast schon wieder unglücklich über den deutschen Onlinejournalismus machen könnte. Bei faz.net haben sie keine Zeit gefunden, darauf hinzuweisen, dass dieser Niggemeier ihnen selbst gerade wieder ziemlich verbunden ist; bei DuMont sind sie optimistisch gespannt auf "gleich die nächste große Idee ...: Der Journalist will eine Plattform für Medienkritik starten."

[+++] Übrigens hat der Spiegel auch eine Reihe großer Ideen in der Pipeline, sage und schreibe 15 Projekte, darunter

"beispielsweise ein Innovation Lab als Zentrum von Kreativität und Erneuerung",

wie es in der oben verlinkten Pressemitteilung heißt. Freilich herrscht bei Innovationen in der deutschen Verlagslandschaft knallharter Wettbewerb, seitdem sich im Silicon Valley die Zeichen verdichtet haben, dass sie unausweichlich und profitabel sind.

"Eine der erfolgreichsten Innovations- und Digitalkonferenzen Europas",

deren

"Zielgruppe ... eine internationale digitale Elite"

ist, hat nun einen ehemaligen Chefredakteur des Stern angeheuert: Dominik Wichmann geht zu Burdas Konferenzenveranstalter DLD, um "den Buzz ... am Köcheln" zu halten (horizont.net). Die Kennenlernphase hatte Martin Gropp für faz.net beobachtet ("Vom 'Stern' in die Digitalgalaxis"), und Christian Meier findet in Springers Welt für Wichmanns Posten die hübsche Bezeichung "Innovations-Intendant".

Bzw. schreibt er das gar nicht direkt in der Welt, sondern in seinem mit einem "unromantischen Scheißwort" (Juliane neulich hier) betitelten Medienblog. Insofern wäre Inhalteindustrie-Innovationsintendant eigentlich ein noch passenderer Begriff. Hashtag: #4in
 


Altpapierkorb

+++ Noch ein Stefan hört auf, ein auch beim großem Publikum bekannter. Stefan Raab hört sogar richtig auf, im Sinne des Etwas-an-den-Nagel-Hängens, allerdings erst Ende dieses Jahres. Dennoch kommen laufend ausführliche Raab-Shows-Nachrufe herein. "Sein Verlust für ProSieben kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden" (Joachim Huber, Tagesspiegel). "Keiner hängte sich so rein wie die Killerplauze" (Meier, welt.de wiederum). Die FAZ-Medien stellen sich auf "eine Raab-freie Zone ein" und schreiben am Donnerstagmorgen immer noch "Pro Sieben Sat.1 verschickte die Mitteilung seines Abgangs am Donnerstagabend um 22.12 Uhr", als hätten sie sich zu sehr an bild.de orientiert, das inzwischen auf "Mittwochabend" verbessert hat ("Raab hatte zuvor noch ganz professionell die erste Folge von 'Schlag den Star' mit Stefan Effenberg (46) und Daniel Aminati (41) aufgezeichnet, dann im Studio seine Mitarbeiter informiert. Reaktion: Schock, Fassungslosigkeit, Tränen"). +++

+++ Ein alter Raab-Sidekick ist inzwischen Intendant der Deutschen Welle und wird heute von der SZ-Medienseite zu derem englischsprachigen Nachrichtenkanal interviewt. "Die Mühen der Mitarbeiter und Verantwortlichen haben sich auf jeden Fall gelohnt, wir werden einen ganz besonders interessanten Kanal anbieten", sagt Peter Limbourg. +++

+++ Wenn "deutsche Medien, darunter dwdl.de, ... ebenso begeistert wie die 'New York Times'" sind, muss wohl Nico Hofmann dahinter stecken. Es geht um die hierzulande noch nicht, aber in USA zu sehende Serie "Deutschland 83". +++ "Das Tor ist aufgestoßen ... Die Welle großartiger deutscher Serien ist nicht zu stoppen", zitiert ihn sueddeutsche.de. +++

+++ Der schon erwähnte Spiegel macht mit seiner aktuellen Titelseite auch mal wieder Schlagzeilen. Von Gerhard Schröders Anwalt kam schon eine Unterlassungserklärung, der Tagesspiegel hat auch bei den anderen Verdächtigen bzw. Abgebildeten rumgefragt. Ausführlicher berichtet handelsblatt.com, dessen Printausgabe wohl am ehesten informiert war. +++

+++ "BER count up Tage seit Nichteröffnung: 1111" (aus Lorenz Maroldts Newsletter, der heute einen Grimme-Onlinepreis erhält). +++

+++ Der Tsp. kennt wohl die neue Berlin-Brandenburger Medienwächterin. Sie hat lange mit dem erwähnten Stefan Raab gearbeitet. +++

+++ "Selbstkastration" sowie Kakao im Sinne Kästners ("Nie dürft Ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man Euch zieht ..."): Heribert Prantls Bilder aus Bundestags-Sicht für den Bundesregierungs-Plan, die berühmten unbekannten Selektoren nur einem von der Regierung benannten Sonderermittler zu zeigen (SZ-Meinungsseite). +++ "Der witzigste Text des Tages", gestern, laut netzpolitik.org: ein von den netzpolitisch interessierten CDU-Mitgliedern des "cnetz" verfasster über die Vorratsdatenspeicherung. +++

+++ "Wird der Schweizer Rundfunk zerlegt?" Großer Jürg-Altwegg-Artikel auf der FAZ-Medienseite nach der Volksabstimmung über die Änderung der Rundfunkfinanzierung (siehe Altpapier vom Dienstag): "Der Schweiz-Bezug der öffentlich-rechtlichen Programme zumindest in der Deutschschweiz ist so penetrant wie wohl nie seit dem Zweiten Weltkrieg und der geistigen Landesverteidigung, als öffentlich wahrscheinlich sogar weniger Mundart gesprochen wurde. Dieser helvetische Taumel, dieses Suhlen in der 'Swissness', ist einer der Gründe für das Unbehagen an der SRG". Dagegen hätte es für die schweizerischen Presse-Verleger "besser ... nicht kommen können". +++

+++ Auch auf der FAZ-Medienseite: "Ukrainische Separatisten misshandeln Reporter", und zwar den Nowaja Gaseta-Korrespondenten Pawel Kanyginist. Er, ein Russe also, sei "von der 'Staatssicherheit' der 'Donezker Volksrepublik' festgenommen worden" - für die es wahrscheinlich die rhetorische Höchststrafe ist, "ukrainisch" genannt zu werden. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.

 

 

 

weitere Blogs

Ein mysteriöser Todesfall, das Mauern der Einheimischen und eine latente Homophobie begegnen einer lesbischen Pastorin bei ihrer Ankunft in einer ostdeutschen Kleinstadt. Aus der Großstadt bringt sie zudem ihre persönlichen Konflikte mit. Beste Zutaten für den Debütroman „In Hinterräumen“ von Katharina Scholz.
Nach 15.000 Kilometern und fünf Monaten ist Leonies Reise vorbei. Was bleibt? In ihrem letzten Blogbeitrag schaut sie auf ihre Erfahrungen zurück.

Vom Versuch nicht zu hassen. Biografische Streiflichter von gestern, das irgendwie auch heute ist.