Ausspähen unter Genossen - das geht gar nicht

Ausspähen unter Genossen - das geht gar nicht
Sebastian Heiser hat einen Fehler gemacht und die taz erlebt eine Spionageaffäre. Es gibt nicht genug gute Journalistinnen. Sat1 amüsiert sich auf Kosten eines wohnungslosen Berliners mit Fantasienamen. Die Deutsche Welle bekommt Geld, und Andy Borg verliert seinen Job.

Quizfrage: Wen befrage ich, wenn es ein medienrechtliches Problem einzuordnen gilt: Einen Medienrechtler oder einen Journalisten, dessen Recherche-Praktiken einmal vor einem Gericht landeten?

Michael Hanfeld hat sich für Letzteres entschieden und interviewt heute auf seiner FAZ-Medienseite Qualitätsjournalismus-Professor Volker Lilienthal. Immerhin hat dieser vor zehn Jahren, damals noch als epd-Redakteur, den Schleichwerbungs-Skandal in der ARD-Soap „Marienhof“ aufgedeckt, sich dabei aufgezeichneter Gespräche bedient und letztendlich vor Gericht Recht bekommen, dies zu tun. Da wird er wohl wissen, ob taz-Redakteur Sebastian Heiser einfach so Unterhaltungen mitschneiden durfte, um der Beilagen-Redaktion der SZ Schleichwerbung nachzuweisen.  

Auftritt Lilienthal:

„Das Aufzeichnen des vertraulichen gesprochenen Wortes, das nach Paragraph 201 Strafgesetzbuch verboten ist, kann nur gerechtfertigt sein, wenn damit ein Missstand belegt wird, den zu kennen von überragender öffentlicher Bedeutung ist.“

Alles klar. Und was wäre zum Beispiel von überragender öffentlicher Bedeutung?

„Ein überragendes öffentliches Interesse war beispielsweise bei meiner Recherche zur Schleichwerbung in der ARD-Serie ,Marienhof’, dass es eine neue Qualität der Manipulation war, dass man Sätze kaufen konnte, dass es im öffentlich-rechtlichen Fernsehen stattfand, wo man Werbefreiheit erwartet.“

„Überragendes öffentliches Interesse“ in einem Satz mit der ARD-Soap „Marienhof“. Dass ich das noch erleben darf. Wobei natürlich viel wichtiger ist, was im Vergleich dazu eher nicht so relevant ist?

„Ich müsste mir in meiner Phantasie schon sehr extreme Fälle ausmalen, um einen ähnlich gelagerten Fall in einer Redaktion anzusiedeln. Wenn namhafte Mitglieder eines seriösen Mediums sich intern als Holocaust-Leugner erweisen – dann vielleicht, weil man annehmen muss, dass hinterher alle Beteiligten leugnen. Aber es sind schon sehr abstruse Fälle, die man sich hier einfallen lassen müsste, um heimliche Mitschnitte in Redaktionen, also mitten im Schutzbereich von Artikel 5 Grundgesetz, gutzuheißen.“

In anderen Worten: Sebastian Heiser hat einen Fehler gemacht. Zumindest nach der juristischen Einschätzung des Qualitätsjournalismusprofessors.

In anderen Zeiten hätten wir damit unseren kleinen Skandal. Doch die Aufdeckung des vermeintlichen #szleaks ist mittlerweile die unwichtigere Geschichte, die Sebastian Heiser zum Mittelpunkt gewählt hat.

####LINKS####Bereits seit Freitag macht der Vorwurf die Runde, er habe die Computer seiner taz-Kollegen per Keylogger bespitzelt (siehe auch Altpapier gestern). Nachdem die taz selbst sich zunächst nur mit dem kürzesten Blogpost aller Zeiten („Zu Personalangelegenheiten äußert sich die taz grundsätzlich nicht. Karl-Heinz Ruch, Geschäftsführer“) zu Wort meldete, veröffentlicht sie nun eine genaue Chronologie des Datenklaus. So erfährt man, dass der der Spähaktion verdächtige Kollege gestern zu einem Gespräch mit der Chefredaktion nicht erschienen ist und daraufhin arbeitsrechtliche Schritte eingeleitet und Strafanzeige gestellt wurde. (Die dazugehörige Medien-Meta-Ebene dokumentiert Zapp.)

 

Ein Name fällt allerdings nicht. Dieser Linie folgen auch Ines Pohl und Andreas Rüttenauer, die den Vorfall „In eigener Sache“ einordnen:

„Tatsächlich haben wir es mit einer Spionageaffäre zu tun. Der Schock bei uns allen sitzt tief. (...)„Die Fassungslosigkeit über die Spähattacke dauert an. Während andere Medien bereits über den Fall berichteten, haben wir uns zunächst mit einer Bewertung des Vorgefallenen zurückgehalten. Das hatte arbeitsrechtliche und andere juristische Gründe. Zum anderen hatte es für uns Vorrang, eine interne Aufklärung der Vorkommnisse in die Wege zu leiten. Wir wollten wissen, welche MitarbeiterInnen vom Einsatz des Keyloggers betroffen waren, und diese darüber informieren.“

Wie sich der Artikel läse, hätten Pohl und Rüttenauer sich zur Nennung eines Namens entschlossen, dokumentiert dieser Text bei Springers Welt („Heiser habe den Termin aber platzen lassen, berichteten Pohl und Rüttenauer.“). Doch die Frage, ob es nun Heiser war, dessen Twitter-Account namens tazblog mittlerweile gesperrt wurde, ist letztendlich weniger interessant als die, warum jemand seine Kollegen bespitzelt, ihre Computer anzapft und sich Passwörter erschleicht, als reiche es nicht aus, dass die NSA Derartiges bereits übernimmt?

Volker Lilienthal – der in diesem Zusammenhang ebenfalls keinen Namen nennt - hat auch dazu eine Theorie:

„Der zweite Fall, das permanente Abhören von Redaktionskollegen, verweist wahrscheinlich auf persönliche Motive. Warum macht jemand so etwas? Ich vermute, er will seine Redaktionskollegen kontrollieren, um im Fall eines Konfliktes etwas gegen sie in der Hand zu haben, vielleicht sogar erpresserisch. Da sehe ich keinen journalistischen Hintergrund, der zu rechtfertigen wäre.“

Was 2007 das Aufnahmegerät in der Tasche war, ist heute der Keylogger? Ganz wegwischen kann man diese Schlussfolgerung nicht. Obwohl selbstverständlich auch hier die Unschuldsvermutung gilt. (Offenlegung: Ich habe mehrere Jahre als freie Autorin für den Berlinteil der taz geschrieben, wo Sebastian Heiser als Redakteur gearbeitet hat.)

[+++] Höchste Zeit für eine weitere Quizfrage: Was haben die Nominierten für die schönen Preise der Journalisten des Jahres mit dem Politbüro der SED gemeinsam? Ganz recht: den Frauenanteil. Aber was will man machen, wenn die Herren der Berufsgruppe einfach ein wenig talentierter sind als die Damenwelt? (Kleiner Scherz.)

Den ersten Preis als JournalistIn des Jahres verlieh das Medium Magazin gegen den Trend ARD-Korrespondentin Golineh Atai, die Anastassia Boutsko zu diesem Anlass bei der Deutschen Welle portraitiert und zitiert:

„,Zu dem Zeitpunkt, als ich den Job hier begonnen habe, wusste ich nicht, dass ich bald über einen Krieg berichten werde’, sagt Atai. All die Hoffnungen, die sie im Gepäck hatte, die ,mit Reisen und großen Dokumentationen verbunden waren, zum Beispiel nach Sibirien, in den fernen Osten oder in den Kaukasus’, mussten der Realität weichen. Sie würde so gerne ,über schräge Geschichten und seltsame Menschen’ berichten, über Kultur, Ballett und Oper. ,All das kommt leider viel zu kurz. Wir sind hier alle zu Kriegsreportern geworden.’“

Ein paar Bilder und zusammengekehrte News (im März will sueddeutsche.de die Bezahlschranke herunterlassen) gibt es wie immer bei Twitter.

Einen ausgewogeneren Frauenanteil hat derweil der Guardian. Dort stellen sich vier potentielle Alan-Rusbridger-Nachfolger vor: drei Frauen und ein Deutscher namens Blau.

[+++] Das Abendprogramm für den Rest des Landes lieferte gestern „Newtopia“ bei Sat1, wobei man lernen konnte, dass selbst eine Show, die den Aufbau einer neuen Gesellschaft aus dem Nichts simulieren will, Platz für Produktplatzierungen bietet.

In Folge 1 galt es zunächst die Bewohner mit dem größten Nervpotential kennenzulernen und sie dabei zu beobachten, wie sie in 15 Minuten alles, was sie für das kommende Jahr in ihr neues Heim mitnehmen wollen (Zahnpasta, Toilettenpapier, Zigarren) in eine Kiste stopften.

Die ersten Rezensionen haben dabei schon ihren Walter Freiwald gefunden:

„Dass die Steigerung des ,Big Brother’-Formats an zu wenig Zoff scheitern wird, wird aber auch Candy zu verhindern wissen. Der 44-jährige Berliner ohne festen Wohnsitz hat die Arbeit nicht erfunden, träumt von den Vorzügen der Polygamie und hält seinen Schönheitsschlaf am liebsten dann, wenn die Anderen die anstehenden Aufgaben erledigen.“ (Kurt Sagatz, Tagesspiegel)

„Da ist der Politikwissenschaftler Candy, 44 Jahre alt und ohne festen Wohnsitz, der auf dem Weg zu seiner Mutter erklärt, dass er für die Gründung einer neuen Gesellschaft ausnahmsweise auch mit einer Nichtakademikerin Geschlechtsverkehr haben würde.“ (Jonas Jansen, faz.net)

„Mit dem 44-jährigen obdachlosen Politikwissenschaftler Candy (sprich: Sandy) haben sich Autoren und Regie bereits ein Opfer auserkoren, auf dessen Kosten Hohn und Spott getrieben werden. Wird Candy mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen und steht nicht gleich parat, um einem Mitbewohner beim Hereintragen von dessen Kiste zu helfen, lautet der mokante Kommentar: ,Voller Elan, Energie und Tatkraft springt Candy aus dem Bett. Sein neuer Stamm braucht Hilfe.’ Ihm wie auch anderen werden von den Autoren Gedanken zugeschrieben; auch die Musik dient dazu, die Wahrnehmung und Empfindungen des Zuschauers zu lenken.“ (Harald Keller, fr-online.de)

Diese Sat1-Mitarbeiter sind schon ein manipulatives Pack, einfach so Musik zur Wahrnehmungslenkung einzusetzen. Wem selbst das zu harmlos erscheint, der kann sich alternativ bei der BBC umsehen. Dort läuft mit „I Survived a Zombie Apocalypse“ eine Art „Newtopia“ mit Zombies, über das Andrea Diener in der FAZ berichtet.


Altpapierkorb

+++ Am Mittwoch kommt Charlie Hebdo zurück an die Kioske. Wichtigste Frage wie immer: Was ist auf dem Cover? „Abgebildet ist eine Karikatur auf rotem Grund, in der ein Hund mit einer ,Charlie Hebdo’-Ausgabe in der Schnauze von einer geifernden Meute gehetzt wird. Unter den Verfolgern sind unter anderem ein Hund mit Kalaschnikow und Stirnband - als Karikatur eines Dschihadisten -, der Papst, der konservative Ex-Staatschef Nicolas Sarkozy und die Chefin des rechtsextremen Front National (FN), Marine Le Pen.“ So Spiegel Online. +++

+++ Mitten in die Demo-Vorbereitungen gegen Stellenstreichungen bei der Deutschen Welle platzte gestern die Nachricht, dass deren Finanzierung gesichert ist: 12 Millionen Euro soll es ab kommendem Jahr zusätzlich geben (Bericht u.a. in der taz). Hans-Peter Siebenhaar findet das in seiner Handelsblatt-Kolumne allerdings viel zu wenig. „Doch das frische Geld kann nicht in neue oder auch den Erhalt bereits vorhandener Projekte investiert werden. Es soll die Tariferhöhungen bei der Belegschaft aus den vergangen beiden Jahren kompensieren. In seiner Aufgabenplanung hat sich Deutsche-Welle-Chef Limbourg verpflichtet, bis 2017 eine Spitzenposition unter den Auslandssendern zu erreichen – eben auf Augenhöhe mit CNN und BBC Worldwide. Das kann aber nur gelingen, wenn die Bundesregierung endlich mehr Geld in die Hand nimmt.“ +++

+++ Für Andy Borg gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht: Der von ihm seit neun Jahren moderierte „Musikantenstadl“, für dessen Fortbestand er sich dann doch noch stark machte (siehe Altpapier vom Oktober), hat eine Zukunft. Allerdings nicht mit dem Moderator Andy Borg. „Nicht nur personell, auch inhaltlich soll die Show ein jüngeres Publikum ansprechen. ,Jede große Marke braucht einen Erneuerungszyklus’, verteidigte ORF-Fernsehdirektorin Kathrin Zechner den Umbau. Nach BR-Angaben soll der ,Musikantenstadl’ damit noch eine Chance bekommen, die Folgenanzahl bleibe zunächst offen. Der ,Stadl 2.0’ soll etwa neue Sendungselemente und eine etwas veränderte musikalische Bandbreite umfassen. Das konkrete Konzept werde in den kommenden Monaten erarbeitet“, schreibt Angie Pohlers im Tagesspiegel. Noch mehr Senderverantwortlichenzitate gibt es bei DWDL. +++

+++ Über eine zu große Nähe von Machthabern und Journalisten und die sich daraus ergebenden Probleme kann man nie genug schreiben. Heute übernimmt das Stephan Russ-Mohl in der NZZ. +++

+++ Zeitungskrise und sinkende Auflagen? Gibt es für den New Yorker seit 90 Jahren. Willi Winkler erzählt auf der Medienseite der SZ anlässlich des Geburtstags der Zeitschrift ihre Geschichte, und warum es sie immer noch gibt. „Harold Ross, der als Soldat für die Armeezeitung Stars & Stripes gearbeitet hatte, wünschte sich ein urbanes Magazin, das unernst, aber kein Witzblatt sein sollte. Einen gewissen Anspruch sollte es pflegen, Stil zeigen, also eher britisch in der Anmutung sein oder doch mehr ostküstenamerikanisch als so provinzdeppenhaft, wie man sich von New York aus den Rest Amerikas vorstellte. Zusammen mit Freunden brachten Ross und seine Frau ein Startkapital von 46000 Dollar auf, und so gingen sie an die Kioske und fast auf der Stelle ein. Als der Sommer kam, war die Auflage von knapp 15 000 auf 2719 verkaufte Exemplare gesunken.“ +++

+++ Über Yanis Whatthefuckis und seine Bemühungen, das griechische Finanzdebakel zu bändigen, lässt sich derzeit ja vortrefflich herziehen (für Belege dieser Thesen bitte „Wolfgang Bosbach“ googeln). Aber wie sähe es eigentlich aus, wäre Deutschland pleite? Das Hörspiel „Sale“ auf WDR 5 dekliniert das heute Abend mal durch. „Was sich in Stundenschnelle als neue Gesellschaftsordnung in Deutschland etabliert, ist eine Mischung aus Manchester-Kapitalismus und Sklavenstaat. Der Autor Georg Heinzen und der Regisseur Martin Zylka erzählen Sale als Groteske. Vordergründig ist ihr Hörspiel harmlos komisch. In den besten Momenten ist der Zynismus des Plots jedoch ätzend“, meint Stefan Fischer in der SZ. +++

+++ Natürlich wird auch heute wieder auf einer Medienseite eine amerikanische Serie besprochen. Das übernimmt Markus Ehrenberg im Tagesspiegel, weil abends bei RTL die 2. Staffel von „The Blacklist“ startet. „In der Tat, wer ,Homeland’ und ,24’ mag, wird irgendwie auch bei ,The Blacklist’ auf seine Kosten kommen. Oder seinen großartigen, großkotzigen Hauptdarsteller verehren – James Spader als abtrünniger, leicht versnobter Ex-Agent, der Terroristen, korrupte Politiker und andere Verbrecher cool gegen Bares ans FBI liefert.“ +++

Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.

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