Dieser schwer fassbare Reiz

Dieser schwer fassbare Reiz

Eine Groko aus Medienjournalisten und WDR-Redakteuren engagiert sich fürs gute Radio oder zumindest gegen Valerie Weber. Die Rundfunkgebühren-Gesamtmenge ist wieder frisch geschätzt worden (und "explodiert" um circa anderthalb Prozent). Ein "meistgehasster" Journalist wird auch befördert.

Wäre das Altpapier Dokutainment - also eine der Sendungen im privaten oder auch öffentlich-rechtlichen Fernsehen, die das Offensichtlichste, das die Bilder gerade zeigen und der Kommentarsprecher betont, gerne durch solche Popsongs im akustischen Hintergrund verdreifachen, die ihr Publikum schon jahrzehntelang aus dem Autoradio gewohnt sind  -, dann würde jetzt der "Radio Gaga"-Refrain anschwellen. Schließlich ist das einer der allergrößten Hits aus jenem unglaublichen Jahrzehnt, in dem der populäre Musikgeschmack deutscher Radioredakteure sich entwickelt hat und festgefroren ist, und er würde unterschwellig andeuten, dass das Top-Nebenbeimedium Radio derzeit auf den Medienseiten die ungewohnte Hauptrolle spielt.

Heute um 11.00 Uhr findet beim WDR in Köln, weiß der dortige Stadtanzeiger, die große "kurzfristig einzuberufende Versammlung" statt, um die Frage zu diskutieren, ob Valerie Weber neue Hörfunkdirektorin werden soll (siehe Altpapier vom Frei-, Mon- und Dienstag). Die Einberufung hat ein Protestbrief gegen die Kandidatin aus dem Privatradio (Wortlaut bei ksta.de) an Intendant Tommy Buhrow gefordert, den bis Montag etwa 150 Mitarbeiter des WDR-Hörfunks unterschrieben hatten.

Sogar Spiegel Online, das populäre Portal, das sich eigentlich kaum um Medienberichterstattung schert, wenn keine strategische Interessen des Verlags oder Vermarktungsinteressen des Hefts dafür sprechen, berichtet über diesen Brief. Es hat von WDR-Sprecher Birand Bingül ein fulminantes Plädoyer pro Weber zu hören bekommen:

"Auf Nachfrage von Spiegel Online bestätigte der WDR den internen Protest der Mitarbeiter. ... Valerie Weber sei eine Wunschkandidatin, die eine neue Perspektive mitbringe. Mit ihr sollen Stärken des WDR ergänzt werden. Sie sei eine vielseitige, leidenschaftliche und analytische Strategin... Zudem habe Valerie Weber beim privaten Radio einen guten Job gemacht. Viele sähen nur die Marketing-Aspekte, dabei habe Weber etwa auch den Wortanteil bei Antenne Bayern ausgeweitet."

A propos Leidenschaft: passioniert auch das Plädoyer, das aus demselben Anlass der sonst eher klick-strategisch denkende Analytiker Stefan Winterbauer bei meedia.de unter der Überschrift "Der schreckliche Primat der Durchhörbarkeit" für das gute, sehr alte Radio an sich hält:

"Der Verzicht auf Bilder und deren aufwändige Produktion gibt dem Radio einen enormen Tempo-Vorteil. Radio ist emotional. Durch Stimmen werden Stimmungen erzeugt. Der Bass eines Nachtmoderators, das Kieksen der Moderatorin einer Teenie-Sendung. Die Auswahl von Musik erzeugt zusätzlich Atmosphäre, für die emotionale Farbe eines Senders oder einer Sendung. Radio hat vor allen anderen Medien diesen schwer fassbaren Reiz des Unmittelbaren. Dieses Gefühl, dass da jemand ist, der zu einem spricht. Egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit. ... "

Ebenfalls contra  Weber: Manni Breuckmann. Das "WDR-Urgestein" habe sich bei Facebook "mit bissiger Ironie" geäußert, weiß die TAZ in ihrer Lagebeschreibung. Da geht es auch wieder um die Spielchen-Theorien, die einerseits aus Webers Wikipedia-Eintrag zu einem verdächtigen Zeitpunkt verschwanden, andererseits sich auf den nicht unrenommierten Dichter Friedrich Schiller zurückführen ließen. Darum geht's auch im Protestbrief; dazu hatte sich schon am Wochenende gewohnt kenntnisreich Hans Hoff bei dwdl.de geäußert (in dessen Text einem übrigens auch bereits der "Vielseitig, leidenschaftlich und analytisch"-Textbaustein begegnet, mit dem die investigative Spiegel Online-Nachfrage abgespeist worden ist).

Hoff fasst heute aktuell für die Süddeutsche (S. 31) unter der feinsinnigen Überschrift "Eine Frau vom Format" die Lage zusammen. Die Zahl der Protestbrief-Unterzeichner wächst im Verlauf des Artikel von "mehr als 150" auf "160". "Selbst im Rundfunkrat, von dem bisher angenommen wurde, dass er den neuen Intendanten nicht diskreditieren werde, sind kritische Stimmen zu hören", "schon jetzt scheint sicher, dass Buhrow diese Woche nicht ganz unbeschadet überstehen wird".

Ja, hat denn die Groko der publizistischen Kritiker von "oft grenzdebilen Gewinnspiel-Ideen" (Winterbauer noch mal) sowie der Unterzeichner des Protestbriefs (der übrigens mit der freundlichen Formel "Zur Nominierung von Jörg Schönenborn als neuem Fernsehdirektor beglückwünschen wir Sie im Übrigen ausdrücklich" endet) Recht? Oder handelt es sich um "geradezu kampagnenartige Stimmung" im WDR, um reflexhafte Rebellion, wie z.B. Christoph Lemmer auf der Privat- und Formatradio-freundlichen Webseite radioszene.de kolumniert? Gönnen halt öffentlich-rechtliche Redakteure lieber einer von ihnen Beförderungen in Positionen, zu deren Reizen ja auch gehört, dass die InhaberInnen dereinst im Ruhestand traumhafte Pensionen werden verzehren können?

Gut, dass es radiowatcher.de gibt - sozusagen eine Art Fernsehblog fürs Radio, das auch dort hinschaut bzw.- hört, wo es den meisten Medienjournalisten weh tut, wo es draußen in der wahren Welt aber wirkt. Im Blog von Ekkehard Kern (der auch bei welt.de als einer der ersten berichtete) findet sich erstens eine differenziert fundierte Presseschau zu Valerie Weber, in der sowohl eine medium magazin-Titelstory von 2007 über "Weiblichkeit als Trumpf" im Radio auftaucht, als auch das Schweinehaxen/ Ingwertee-Faible, das Weber auf der Webseite ihres aktuellen Senders Antenne Bayern äußert.

Zumindest die Haxen dürften freilich mit dem "ausgiebigen, oft geradezu penetranten Zelebrieren des Bayerischseins" dieses Senders zu tun haben, das radiowatcher.de nicht bloß behauptet, sondern auch mit Hörbeispielen sowie mit Werbemittel-Fotos belegt. "Das Programm wurde so stromlinienförmig wie nur möglich gemacht", so charakterisiert das Blog Antenne Bayern: "Für die Zukunft ging man offensichtlich davon aus, dass der, der wenig Überraschungen bietet und wenig aneckt, vom Hörer zumindest geduldet - und nicht weggeschaltet wird."

####LINKS####

[+++] Damit zum anderen aktuellen Aufreger, der das Radio am Rande ebenfalls betrifft. Von den Rundfunkgebührenmilliarden wird schließlich nicht nur eine Menge Fernsehen bezahlt, sondern auch eine Menge Kultur- und Dudelwellen, denen man ihre Öffentlich-Rechtlichkeit oft kaum anhört.

Zur Höhe der Rundfunkgebühren-Einnahmen liegen frische Schätzungen vor. Erhoben hat sie mal das Handelsblatt, das seine Printtexte allerdings grundsätzlich nicht ins freie Internet stellt. Widerschein online gibt's erstens bei handelsblatt.com [für das ich gelegentlich schreibe] in der "Medienkommissar"-Kolumne des unermüdlichen Hans-Peter Siebenhaar. Er malt den "historischen Rekord" des ZDF aus ("Summa summarum plant ZDF-Chef Thomas Bellut mit einem Etat von 2,063 Milliarden Euro. So viel Geld stand der Mainzer Anstalt noch nie zur Verfügung"). Außerdem hat der Nachrichtenfuchs Dietmar Neuerer aus diesen Anlass mal beim Bund der Steuerzahler angeklingelt.

Zweitens in den aggregierenden digitalen Medienmedien wie meedia.de und dwdl.de, das vor allem die Sache wieder runterkocht ("Die 'wundersame Geldvermehrung', die für Leser des 'Handelsblatts' ja eigentlich eher wundersam gering ausfallen müsste, weil man Anfang des Jahres wie auch viele andere Medien noch mit weit höheren Zahlen hantiert hatte, klingt auf den ersten Blick natürlich gewaltig. Doch angesichts der Gesamt-Einnahmen ist es ein Zuwachs von weniger als eineinhalb Prozent...").

Und drittens in der Reflexhaftigkeit, die zu den jeweiligen Geschäftsmodellen gehört, heute in weiteren Zeitungen. In der Bild-Zeitung gewohnt gaga ("Gebühren-Einnahmen bei ARD und ZDF explodieren!"), im Tagesspiegel besonnen, obwohl das Berliner Blatt im Kleingedruckten die höchste absolute Zahl der aktuellen, auf mutmaßlichen Zusatzeinnahmen von ARD und ZDF basierenden Schätzungsrunde errechnet, u.a. indem es sie vervierfacht:

"Nimmt man nun noch das Deutschlandradio hinzu, errechnen sich für die gesamte vierjährige Gebührenperiode Mehreinnahmen durch die Umstellung auf die Haushaltsabgabe in Höhe von über 500 Millionen Euro."

Die FAZ hat kämpferische Wortspielchen im Angebot. Die einzigen aktuellen Aussagen eines hochrangigen Funktionärs, ein paar Sätze des Bayerischer Rundfunk-Intendanten und vormaligen Bundesregierungssprechers Ulrich Wilhelm "bei einem Medienempfang am Montag" (womit der Tagesspiegel aus seinem Bericht aussteigt) bezieht Michael Hanfeld auf sich oder sein Blatt und wendet sie gegen Wilhelm ("Die Berichterstattung über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nehme er mitunter als Verzerrung wahr, sagte der BR-Intendant Wilhelm. 'In den Feuilletons' lese er, dieser sei 'bräsig, seiner selbst zu gewiss, mitunter dann auch seiner selbst überdrüssig, jedenfalls nicht lernfähig' oder 'bewegungsunfähig'. Wer wollte das denn behaupten? Wenn es ums Geld geht, sind ARD und ZDF nun wirklich nicht 'bräsig'").

Dass wahrscheinlich bald wieder bessere Gelegenheiten kommen werden, sich über die Öffentlich-Rechtlichen und ihre sicheren Einnahmen zu echauffieren, weiß Hanfeld aber auch:

"Die Rechnungen mögen vorläufig sein, wie die Gebührenkommission Kef mahnt. Sie erschweren es den Anstalten aber immerhin, sich bis zum Stichtag im April 2014 wieder arm zu rechnen."

 


Altpapierkorb

+++ Attraktiver Superlativ: "Der meistgehasste Journalist Deutschlands". Das sei, meint newsroom.de, Julian Reichelt -  also der gerade zum künftigen Chefredakteur von bild.de, dem, muss man sagen: erfolgreichsten Nachrichtenportal Deutschlands, befördert wurde. Worauf newsroom.de sich bezieht: auf sich selbst vor kurzem, als es von einem Beckmannshow-Auftritt des vormaligen Kriegsreporters in diesem November und von "Kommentaren zum Beispiel auf Twitter", die "teilweise widerlich und menschenverachtend" seien, berichtete (und diese dokumentierte). +++

+++ "Ist es nicht zum Heulen, dass Sie mit dem Schwabinger Kunstfund den größten Scoop in der Geschichte des Focus haben, und dann meldet sich Cornelius Gurlitt beim Spiegel, weil er glaubt, die Konkurrenz habe den Fall enthüllt?" - "Wieso zum Heulen? Ich habe darüber gelacht und mich gefreut, dass die Spiegel-Kollegen die Größe hatten, zu schreiben, dass der alte Herr sich geirrt und Spiegel und Focus verwechselt hat. Frustration ist nach dem internationalen Erfolg dieses Scoops der entfernteste Gemütszustand, den ich mir vorstellen kann."  Großes Jörg Quoos-Interview zu dessen bald ein-jährigem Jubiläum als Focus-Chefredakteur auf der SZ-Medienseite. Quoos wird eine Menge cooler Sprüche los ("Nur weil der Focus den Standort Berlin aufbaut, wird er keine Kreuzberger Gesinnungsverwirrung erleiden"). +++

+++ Gerade noch mit Himmel-Preis der Freie-Journalisten-Gewerkschaft Freischreiber geehrt, stellt der Cicero nun Literaturen, "Deutschlands einst einflussreichste Literaturzeitschrift", als eigenständigen Titel ein. Das inspiriert ein paar literarisch ambitionierte Überschriften (Tsp.: "Den Vorhang zu und alle Fragen offen", FAZ: "Umarmungstod"). +++

+++ Geradzu ein Preis-Special: die aktuelle TAZ-Kriegsreportage der Freischreiberin Silke Burmester. U.a. wird, indirekt, ein Juror-Posten beim Reporter-Preis verlost. +++

+++ Die Bundesregierungs-Groko gibt es noch immer nicht, aber deren womöglich ggf. deren "Digitale Agenda". Diese wird beurteilt als gut (Stefan Schulz in der FAZ: "... Das Verhandlungspapier überrascht nicht nur an dieser Stelle. Die Autoren positionieren sich zu vielen strittigen Punkten aus jahrelangen Diskussionen überraschend eindeutig..."), als so mittel (Markus Beckedahl bei netzpolitik.org: "Eine netzpolitische Meisterleistung ist das Papier leider nicht. Das Papier ist voller schwammiger Formulierungen, die man unterschiedlich interpretieren kann"), und als schlecht (zeit.de). +++

+++ "Wenn eine Komödie aussieht, als stamme sie von Loriot, dann diese", ist Heike Hupertz ob des heutigen ARD-Films "Ein Schnitzel für alle" aus dem Häuschen. +++ Dort befinden sich Tilmann P. Gangloff und Rainer Tittelbach ja öfter. +++ Der Tagesspiegel freut sich mit Ludger Pistor, "diesem gut geschulten Mimen mit Ausbildungsstationen in New York bis Wien", der aber immer "bloß Ergänzungsspieler" war, nur heute mal eine Hauptrolle spielt. "Das wirft die Frage auf: Reicht ihm das? 'Tja', sagt Ludger Pistor zögernd und verweist auf Theo Lingen. Der habe vorm Krieg vor allem Hauptrollen gespielt. Danach allerdings sei Theo Lingens Paradetypus vom 'kleinen Mann' zusehends in den Hintergrund gedrängt worden. Selbst ein Heinz Rühmann, glaubt Pistor, 'würde heute nicht mehr reüssieren'." +++

+++ "Wer kritischen Journalismus wagt und dabei die Arbeit der Regierung hinterfragt, geht in der Türkei ein hohes Risiko ein", belegt die FAZ-Medienseite anhand des Portals T24, das Gründer Dogan Akín "zum Teil aus Werbefilmen für Unternehmen finanziert". +++ Ebd.: "Welt der Wunder" ist ab 31. Dezember keine Sendung von RTL 2  mehr, sondern ein eigener Free-TV-Sender. Gründer Henrik Hey wollte es so. +++

+++ Vielleicht doch bemerkenswert, zumindest für Anhänger des Döpfner-Sprachbildes vom Selbstmord aus Angst vor dem Tod: die Passage "... Sie [die Controller] hoffen mit der Zusammenlegung von Redaktionen den Schaden wieder ausbügeln zu können, den sie angerichtet haben. Sie sehen nicht, dass Uniformität und Austauschbarkeit der Zeitung dadurch befördert werden. Sie fühlen nicht, dass sie einer Redaktion bei laufendem Betrieb so die Seele herausreißen. Aus Angst vor ihrem Tod bereiten sie unseren Selbstmord vor" in Gabor Steingarts ausgiebiger Ruckrede neulich (handelsblatt.com). +++

+++ Und das Medienmagazin "Zapp" im NDR-Fernsehen wird heute 500 Jahre (wie Jan Böhmermann scherzen würde) oder 500 Folgen alt. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.

 

weitere Blogs

Symbol Frau und Sternchen
Geschlechtsneutrale oder geschlechtssensible Sprache erhitzt seit Jahren die Gemüter. Nun hat die Bayrische Landesregierung das Gendern verboten. Die Hessische Landesregierung will das Verbot ebenfalls einführen.
Eine Ordensschwester im Kongo wurde wieder freigelassen – weil der Bandenchef keinen Ärger wollte.
Ein spätes, unerwartetes Ostererlebnis der besonderen Art