Mehr Spaltung wagen

Mehr Spaltung wagen

Die Unterschiede zwischen Münchner Medien (für Olympia) und Münchner Mediennutzern (nicht). Wo ist die Geburtsurkunde von Angela Merkel? Evgeny Morozov schäumt. Spiegel-Reporter Jürgen Leinemann ist 76-jährig gestorben. Dieses "Wetten, dass..?" fand statt. Facebook schafft den Daumen ab (aber nicht wirklich). Und die Öffentlich-Rechtlichen kassieren mal wieder fette Bazille ab (oder auch nicht).

Holla, die Waldfee: "Die Deutschen misstrauen ihren Eliten." Schreibt Marion Horn von der BamS-Zeitung und meint die politischen Eliten.

"Wenn das so weitergeht, landen wir in Sozialismus oder Staatsbankrott. Oder beides."

Feelingmäßig kommt so, seit Horn als Chefredakteurin fungiert, ein neues Gefühl in den politischen Diskurs: Die BamS orientiert sich auf dem publizistischen Markt am Vorbild der US und A: mehr Spaltung wagen. Und übt sich in Tea-Party-Argumentation oder Mathias-Döpfner-Verkäuferrhetorik (oder in beidem beides). Nach Horns Kommentar "Ein bisschen 'Tea Party' würde Deutschland guttun" kam gestern Schritt 2. Was noch fehlt zur richtigen Tea-Party-Zeitung, wusste Felix Schwenzel am Sonntag bei Facebook:

"fehlt jetzt eigentlich nur noch, dass sie in ihrem nächsten kommentar die geburtsurkunde von merkel zu sehen verlangt."

+++ Wobei der Eindruck, dass "die Deutschen" "ihren Eliten" "misstrauen", schon erwähnenswert ist, insofern, als sich ausgewählte Oberbayern am Sonntag nicht an die Vorschläge hielten, die ihnen nicht nur Münchens OB Christian Ude, Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer, die amtierende Skifahrerin Maria Riesch, der amtierende Skifahrervater Christian Neureuther und die Münchner S-Bahn gemacht hatten, sondern auch amtierende Medien, etwa die Münchner Abendzeitung, die Süddeutsche Zeitung, der Münchner Merkur, die Münchner tz und natürlich die in München erscheinende Bild-Zeitung: München und Umgebung wird sich nicht um die Olympischen Winterspiele 2022 bewerben – in allen vier Stimmregionen war eine Mehrheit beim Bürgerentscheid dagegen (Foto: DPA, kleiner Drehscherz: Altpapier). AZ-Chefredakteur Arno Makowsky schrieb am Sonntagabend:

"Die Bürger lassen sich ihre Meinung nicht vorschreiben. Nicht von Politikern, nicht von den Medien, nicht von Prominenten. Was hatte die Pro-Olympia-Fraktion nicht alles aufgeboten. Eine teure (und handwerklich schlechte) Plakatkampagne, jede Menge beliebter Sportler, hyperaktive Politiker. Die meisten Medien – auch die AZ – hatten sich in Kommentaren für ein 'Ja' beim Bürgerentscheid ausgesprochen. Genützt hat es nichts."

"Offenbar klafft der Wille der meisten Politiker und der der meisten Wähler bei der Frage 'Wie halten wir es mit Olympia?' weit auseinander", stellte am Abend auch sueddeutsche.de fest. Man muss den Einzelfall nicht überschätzen, aber wenn erste Analysen zutreffend sind, dass nämlich die Gründe für die Ablehnung die "zunehmende Skepsis in Deutschland gegenüber Großereignissen" und die "Profitgier" des IOC gewesen seien, ist es schon interessant, dass diverse Medien völlig andere Prioritäten setzten.

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+++ Bei Twitter zumindest, und über Twitter drückt sich der Gemütszustand der Welt der Twitter-User ja einigermaßen gut aus, gab es noch einen anderen Diskussionsgegenstand am Wochenende (neben #tatort und #jauch): der in der FAS abgedruckte Essay "Warum man das Silicon Valley hassen darf" von – einmal raten genügt bei der Überschrift – Feuilleton-Darling Evgeny Morozov, der geschickt zu verbergen versteht, dass hinter seinem Herumgeholze mehr steckt als Morozov-Markenbuilding. Der / abgetörnten / User / gibt's / einige, und tatsächlich nervt schon der Einstieg in seiner Absolutheit, zumal er auch noch auf einer falschen Beobachtung beruht:

"Uns ist klar, dass die Interessen der Pharma-, Lebensmittel- und Ölindustrie selbstverständlich von unseren Interessen abweichen; aber Silicon Valley begegnen wir nur selten mit dem nötigen Misstrauen."

Heißt das, es gibt eine riesige öffentliche Debatte über Pharma-, aber keine über Datenunternehmen? Oder heißt das, alle googeln immerzu, aber keiner tankt mehr sein Auto voll? Egal, was es heißt, nichts davon trifft zu. Die Frage, ob man Morozov mit Gewinn lesen kann, ist auch bei diesem Text also, ob man es schafft, hinter den Schaum zu blicken, den er vor dem Mund hat. Kommt man weit genug, liest man Passagen wie diese, die zeigen, dass sich eine Auseinandersetzung mit der Morozov-Lektüre natürlich lohnen kann:

"Das Beunruhigende an Silicon Valley ist nicht nur, dass es der NSA die nötigen Mittel an die Hand gibt, sondern dass es sie auch ermuntert und ermutigt. Es inspiriert die NSA dazu, in einer Welt bedeutungsloser Links unablässig nach Verbindungen zu suchen, jeden Klick aufzuzeichnen und sicherzustellen, dass keine Interaktion unbemerkt, undokumentiert und unanalysiert bleibt. Wie Silicon Valley unterstellt die NSA, dass alles mit allem verbunden ist. (...) Während ein gesunder, rationaler Mensch 'gelernt hat, dass das Nichtwissen größer ist als das Wissen und dass man der Versuchung widerstehen muss, mehr Kohärenz zu erkennen, als gegenwärtig erreichbar ist', stößt der unter einem Wahn leidende Mensch ständig auf Zusammenhänge zwischen notwendig zusammenhanglosen Phänomenen."

+++ Einen klassischeren Medienaufreger gibt es auch: Die Öffentlich-Rechtlichen bekämen durch die Umstellung der Rundfunkgebühr auf den -betrag "deutlich mehr Geld in die Kassen" als angenommen, bis zu 500 Millionen Euro. Schreibt der Spiegel. Was Michael Hanfeld in einem längeren Text für FAZ.net beschäftigt – die gedruckte Montagsmedienseite der FAZ ist bekanntlich auf einen Kasten im Fernsehprogramm eingedampft. Er nennt in einem Nebensatz den Gebührenaufschwung – quasi das Hanfeld-Echtheitssiegel – "das eigentliche Ziel der Reform":

"Auch wenn die jetzt und vor ein paar Wochen genannten Zahlen mit Vorsicht zu genießen sind, dürften sich die Kritiker des neuen Rundfunkbeitrags bestätigt sehen, die von Beginn an darauf hingewiesen haben, dass sich rechnerisch ein Plus ergeben muss, allein weil mehr Beitragszahler zur Kasse gebeten werden."

Richtig, die Kritiker dürften sich bestätigt sehen. Was aber nicht zu verwechseln ist mit: behalten Recht. Der Stern schätzte pi mal Daumen, die Mehrreinnahmen würden sich auf 1,5 Milliarden belaufen, die Bild ging von bis zu 1,6 Milliarden Mehreinnahmen aus. Insofern könnten sich manche Kritiker eigentlich auch unbestätigt sehen. Und dann ist da ja noch diese Kleinigkeit, die nicht in ihre Argumentation passt, auch nicht in die von z.B. Meedia: Erhöhen sich die Einnahmen für die Öffentlich-Rechtlichen, wird das bei der Festsetzung der nächsten Gebühren berücksichtigt. Und so könnten die Gebühren sinken. Bei DWDL zum Beispiel steht: "Sollte es tatsächlich so kommen, wie nun vom 'Spiegel' kolportiert, dann könnte der Rundfunkbeitrag sogar gesenkt werden."

Oder wie Friedrich Küppersbusch in einem Samstags-TAZ-Text über die Regeln medialer Erregung schreibt:

"Ohne Skandale wären, das mag sein, an manchen Tagen die Zeitungen leer. Mit Skandalen sind sie es auch."


ALTPAPIERKORB

+++ Der ehemalige Spiegel-Journalist Jürgen Leinemann ist im Alter von 76 Jahren gestorben. Der Spiegel ruft ihm online nach und erinnert an seinen eigenen Aufmachertext über seine Krankheit, 2009 +++ Wie auch das Medium Magazin an Leinemann mit Links ins eigene Archiv erinnert +++ Hans Leyendecker ruft ihm in der Süddeutschen Zeitung nach: "Er war der genaueste aller genauen Beobachter. Ein unerhört eifriger Sammler von Informationen, ein geduldiger Gesprächspartner, der manchmal vor der Recherche Bücher las, um den Rhythmus für die Geschichte zu finden, die er, wenn er mit all dem Beobachten, Recherchieren, fertig war, irgendwann in präzisen Worten schreiben würde" +++

+++ Die Frage, ob wir einen Internetminister brauchen, liegt nahe: Jürgen Kaube sagt nein (FAZ-Leitartikel vom Samstag: "Was ein solches Internetministerium nämlich vor allem bewirken würde, wäre die Vereinfachung des Lobbyistengeschäfts"), Die Zeit ja, Carta fasst zusammen und fordert Markus Beckedahl +++ Was würde der zu einem deutschen Internet, wie es laut Spiegel die Telekom planen soll, sagen? +++

+++ "Wetten, dass..?" und "House of Cards" sind die Fernsehtopthemen: "House of Cards" mit Kevin Spacey lief am Sonntagabend bei Sat.1 an, mit dem womöglich wegweisenden Fehler, die auf Binge-Viewing angelegte Serie im Wochenrhythmus auszustrahlen +++ Die FAZ besprach die Serie am Samstag, die FAS am Sonntag, der Tagesspiegel ebenfalls +++ Und die FAS legt unter Verweis auf die schon berühmte Spacey-Rede zur Lage des Fernsehens den Stand der Netflix-Debatte dar. Kurzfassung: Wir brauchen das – auch weil bei ARD und ZDF lieber das Mittelmaß verteidigt, "als einen Teil seiner acht Milliarden Euro in eine zeitgemäße deutsche Serie zu investieren – (...) ein Skandal, der der Veruntreuung öffentlicher Gelder gleichkommt" +++ Wer mag, kann einen ersten Schritt sehen: Die Degeto wolle das "Schnulzenschnitzen" einstellen, so die TAZ +++

+++ "Wetten, dass..?"-Verrisse stehen bei der Berliner Zeitung und beim Tagesspiegel online, SZ und FAZ.net ähneln einander im Urteil: "Vielleicht erinnert sich Lanz eines fernen Tages auch daran, dass es der November 2013 war, als er Wetten, dass..? erstmals fast fehlerfrei über die Bühne bekam und nur einmal den Spielort Halle mit Leipzig vertauschte" (SZ) / "Die gute Nachricht ist, dass Markus Lanz es nach gut einem Jahr „Wetten dass..?“ unter seiner moderativen Leitung hinbekommen hat, eine Sendung abzuliefern, die völlig skandalfrei, weitgehend pannenlos und für Lanz’sche Verhältnisse auch nur in Maßen peinlich war" (FAZ) +++ Immerhin zeichnet sich vielleicht doch ein neuer Fernsehtrend ab, der sich jüngst bei Günther Jauchs und Thomas Gottschalks "Die 2"-Premiere angekündigt hat: Entertainment-History-TV "Es ist ein kollektives In-Erinnerungen-Schwelgen, das Lanz etabliert hat" (FAZ.net) bzw. "Es steht zu befürchten, dass der Tag kommen wird, an dem sich Wetten, dass..? noch weiter in einer Art Zeitschleife verheddert, an dem sich die Show nur noch speist aus Zitaten ihrer eigenen Geschichte" (SZ) +++ Quoten übrigens, für wen es interessiert: irgendwas mit Tiefstand und Keller +++

+++ Die "Tagesschau"-App der ARD könnte doch okay sein, deutete der Vorsitzende Richter des Oberlandesgerichts Köln an – Urteil am 20. Dezember, so die SZ am Samstag via epd +++ Und nochmal zur Rundfunkbeitragsgeschichte: Wären die Einnahmen aus dem Rundfunkbeitrag höher, würde bekanntlich zunächst ein "ungedeckter Finanzbedarf in Höhe von rd. 304 Mio. €" abgedeckt. Der Betrag passt recht gut gut zu dem Betrag von "rund 300 Millionen Euro an Eigenmitteln, Einnahmemöglichkeiten und ähnlichem", den die Prüfer laut Spiegel bei der ARD aufgespürt haben sollen (epd, FAZ.net). Wie der ungedeckte Bedarf und die Einnahmen sowie das allseits zitierte ARD-Defizit von 200 Millionen Euro zusammengerechnet werden müssen, ist an einem Montagmorgen vor 9 Uhr schlecht herauszufinden +++ Siehe zum Thema auch: "was bringen uns die Zahlen, die die ARD im Rahmen ihrer 'Transparenzoffensive' auf den Tisch legt? Leider stiften sie einiges an Verwirrung" (Carta) +++

+++ Der Spiegel, der btw mit Willy Brandts 100. titelt, bevor ihn die anderen haben, schreibt, Frauke Gerlach, Justitiarin der Grünen im NRW-Landtag, solle Direktorin des Grimme-Instituts werden – was ein Geschmäckle hat, zumal nun die 17 anderen Bewerber aus der Presse erfahren, dass man sie für "nicht passend" halte +++ Heute steht in der SZ ein Porträt des als "Tatort"-Kommissar wohl nicht holzschnittartig genug gewesenen Schauspieler Mehmet Kurtulus, der nun mit Samuel L. Jackson spielt: "Kurtulus raucht auf dem Weg zu seinem Hotel eine weitere Zigarette" +++

+++ Die Welt am Sonntag bereitet uns mit ihrem Aufmacher darauf vor, dass wir wegen des Prozessbeginns vor einer Christian-Wulff-Woche stehen – am Dienstag geht es bei "Menschen bei Maischberger" weiter mit der Frage, ob Wulff... und sicher auch inwiefern die Medien... +++

+++ Der Facebook-Daumen stiftet ein wenig Verwirrung: Wird er abgeschafft, wie z.B. die FAZ in einer Glosse (und nicht bei FAZ.net) schrieb? "Facebook trennt sich von seinem Markenzeichen, dem freudig gestreckten 'Like'-Daumen – und ersetzt ihn fast überall durch ein 'f'."  Ja und nein: "(D)er Daumen kommt weg, teilten die Facebook-Verantwortlichen am Mittwoch mit. Allerdings nur auf Websites, die Facebook-Funktionen eingebunden haben" (z.B. SpOn) +++

+++ Und heute im Fernsehen: "Syriens Kinder – In der Hölle des Bürgerkrieges" (22.45 Uhr, ARD), besprochen in der FAZ +++ Und SWR-Dokus von jungen Filmemachern (TAZ) +++

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

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