Störche in Gefahr

Störche in Gefahr

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen zieht sich auf dem Höhepunkt der Entfremdung von seinen Finanziers am eigenen Schopf aus dem Sumpf: Nico Hofmanns ZDF-Dreiteiler "Unsere Mütter, unsere Väter" kostete 15 Millionen Euro – und kein einziger Kritiker ruft "Verschwendung!"

Wenn ich das richtig sehe, ist das häufigste Manko, das die vielen Kommentatoren unter dem Twitter-Hashtag #umuv an "Unsere Mütter, unsere Väter" ausgemacht haben, die Musik: "Dieses unentwegte Zumatschen mit Musik ist grauenvoll. Kaum eine Szene ohne akustische Gefühlsvorgabe. #umuv", twittert Userin @sinnundverstand. "Die Musik agitiert zu viel", kommentierte @HansHuett. "Sentimentalität statt Epos" @GregorKeuschnig – um einfach mal drei zu nennen.

Das Frappierende ist weniger, dass sich Menschen unmittelbar kritisch zum Fernsehprogramm äußern, das ist bekanntlich längst Alltag; erstaunlich ist, dass die Diskussion, die über die Fernsehproduktion während der Ausstrahlung in Gang kam, einerseits so breit war und es andererseits so wenig grundsätzlich zu mäkeln gab, dass selbst die nicht im Vordergrund stehende musikalische Umrahmung kritisch begleitet werden wollte. Unter den deutschen Twitter-Trends fanden sich zwar nur die üblichen Verdächtigen, #tatort und #DSDS, nicht #UMUV, aber das Programm, das gestern wirklich Leute beschäftigt hat, war zweifellos "Unsere Mütter, unsere Väter" (siehe auch, drüben, evangelisch.de). Als zweites Manko ausgemacht wird eine fehlende Differenz zur Zeit der Handlung 1941: Die coole Wortwahl und die Unverklemmtheiten der Figuren seien eigentlich "Errungenschaften der Nachkriegszeit", kritisiert etwa Claudius Seidl in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Gut, und das Dritte ist der Titel: "Unsere Mütter, unsere Väter" spricht jedenfalls nicht primär die 15-Jährigen an.

Ansonsten lässt sich in den Kritiken und Kommentaren eine Tendenz zur Euphorie ausmachen. Mitten hinein in die große Entfremdung vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk platzt also dieser ZDF-Dreiteiler, der der gängigen Alles-Mist-These, die zwar schon immer kursierte, aber selten so großflächige Verbreitung erfuhr wie in den ersten Monaten nach der Einführung der neuen Haushaltsgebühr, das bestmögliche Argument entgegensetzte: Es ist eben offensichtlich nicht alles Mist. "15 Millionen Euro" habe die Produktion gekostet, "zehn davon steuerte der Mainzer Sender bei, so viel wie noch nie für einen Fernsehfilm", schreibt die SZ – und keiner ruft "Frechheit".

Wenn sich jeder einen Storch gebraten hätte, der am Sonntagabend von als großartig empfundenem Primetime-Fernsehen überrascht wurde, wäre das beliebte Tier ein für allemal ausgestorben. Die Überraschung in einigen Zitaten: "Ein großer Fortschritt für den prominenten Sendeplatz", schreibt Sven Felix Kellerhoff in der Welt, "Der bislang beste Beitrag des ZDF zur Gebührendebatte", so Hajo Schumacher in der Berliner Morgenpost, "Wer hätte gedacht, dass diese Forderung hier einmal stehen würde: bitte mehr von solchen Weltkriegs-Eventmovies", schreibt Christian Buß bei Spiegel Online; und im Tagesspiegel Nikolaus von Festenberg: "wer will diese Werke über die Hitlerzeit noch? Man muss ja nur in sich hineinhören, wie es da so grummelt: Genre, Pflichtübung, so lange her, keine Quelle für Erneuerung des Mediums, Schwelgen in den Formen von gestern. Doch dann. Mitten im Vielen das Besondere."

####LINKS####

Teil 2 und Teil 3 des Dreiteilers folgen heute und Mittwoch; ab Mittwoch stehen dann alle drei Teile gebündelt abrufbar in der Mediathek, wie das ZDF-Team twitterte (das sich ohnehin vor und vor allem während der Ausstrahlung social-media-technisch nicht schlecht verausgabte). Die Eigenwerbung war auch sonst beträchtlich. "Tatsächlich rauscht seit zehn Tagen in jede Sendung des Zweiten eine Hinweistafel auf den Dreiteiler ins Bild, endet jeder Film mit einem Trailer, der dieses besondere Stück Fernsehgeschichte bewirbt, das von Sonntag an zu sehen ist", notierte die Süddeutsche. Das "heute-journal" zeigte Ausschnitte, Maybrit Illner legte eine Sonntagssonderschicht gegen ARDs "Günther Jauch" ein, auf zdf.de stand ein Musterbeispiel für Programm begleitende Onlinemaßnahmen. Und weil man unter dem Schlagwort "Programmbegleitung" auch mal dicker texten darf, konnte Heike Hempel, Hauptabteilungsleiterin Fernsehfilm/Serie II des ZDF, einen 15.375-Zeichen-Text verfassen, umgerechnet also etwa eine gedruckte Zeitungsseite oder eine Talkshow-Online-Frühkritik. Ihr Text ist lesenswert und für alle, die beruflich was mit Medien machen, auch archivierenswert. Hier 1.032 Zeichen aus ihren 15.375:

"Historiker wissen, dass es nicht die großen Prozesse oder die ersten Bücher über die Schoah waren, die die Auseinandersetzung mit der Ermordung der europäischen Juden in alle Haushalte trug, sondern die amerikanische Fernsehserie 'Holocaust'. Ich glaube, dass das kein Zufall ist, sondern eng mit der Geschichte des Mediums, mit seiner Nutzung, zusammenhängt. Die kleine Szene aus meiner Kindheit ist dafür ein gutes Symbol: Die Jahre mit einem Fernseher im Wohnzimmer waren für meine Großeltern die friedlichsten. Die Verbreitung der Fernsehgeräte ist ein enger Verwandter des Wiederaufbaus, der allmählich gelinderten Not, der Stabilität und des Friedens. In meinen Augen kam die Kriegsgeneration vor ihren spät erworbenen Fernsehern zur Ruhe. Es ist nur folgerichtig, heute die Geschichte dieser Generation als Thema des Fernsehens selbst zu begreifen. Und wenn wir das angehen, sollten wir auch auf der Höhe unserer Fähigkeiten sein, denn es ist immer auch eine Selbstreflexion des Mediums. Es ist unsere vornehmste Disziplin."

Die rezensierenden Fernsehkritiker – mit Ausnahme von Klaudia Wick für die Berliner Zeitung interessanterweise nur Männer – trugen ihren Teil dazu bei, die Teamworx-Produktion auf die to-do-Listen der Sonntagabend-Fernseher zu hieven. Nun ist Teamworx um Produzent Nico Hofmann ("Die Flucht", "Dresden") nicht die schlechteste Adresse, wenn man Fernsehen braucht, das irgendjemand Event nennt. Nur liegt hier wohl keine jener Event-Produktionen vor, über die alle nur deshalb schreiben, weil man eben darüber schreibt. Claudius Seidl nochmal, der regelmäßig das öffentlich-rechtliche Fernsehen für seine Quotenhörigkeit kritisiert, schreibt in der FAS:

"Der geläufige Einwand gegen Hofmanns Serien war immer der, dass sie blufften. Sie liehen sich vom Melodram die Gefühlssurrogate, aus der Zeitgeschichte die Relevanzbehauptung. Sie lebten von Voraussetzungen, die sie selbst nicht schaffen konnten. Diesmal ist es anders. Diese Serie ist endlich eine Zumutung."

(Den geläufigen Einwand habe auch ich kürzlich hier im Altpapier erhoben, anlässlich eines Hofmann-Textes in der Süddeutschen, in dem er forderte: "Das Fernsehen muss verstören. (...) Kein neidischer Blick nach Amerika, sondern die Lust, deutsche Geschichte, deutsche Geschichten radikal zu inszenieren." Das Wort verstörend im Zusammenhang mit Hofmann-Produktionen fand ich seinerzeit irgendwie... irritierend.)

Interessant auch sonst, was die FAZ alles über "Unsere Mütter, unsere Väter" absetzt: Es ist zunächst einmal einfach eine erstaunliche Menge, vor allem im FAZ-Feuilleton, aber auch auf FAZ.net, wo eine Leserdebatte betreut wird (siehe auch Altpapierkorb vom Freitag). Heutiger Feuilletonaufmacher ist "ein Gespräch mit dem Produzenten Nico Hofmann, geführt von Morten Freidel (28 Jahre), Maximilian Krämer (29), Hannah Lühmann (25), Katharina Rudolph (28), Jan Wiele (34) und außerdem Frank Schirrmacher" (keine Altersangabe), dazu kommt bereits recht früh am Morgen eine Illner-Frühkritik. Auch die FAS steuerte am Sonntag die ganze erste Feuilletonseite bei. Sogar ein Twitter-Account – @FAZ_UMUV – existiert (der allerdings weder ordentlich bespaßt zu werden scheint noch den Verifiziert-Button hat, den die meisten anderen FAZ-Accounts haben).

FAZ-Feuilletonchef Nils Minkmar ist mit Heike Hempel verheiratet, der erwähnten Hauptabteilungsleiterin Fernsehfilm/Serie II des ZDF, wie er selbst disclosurete, als er ihren Text empfahl; das lässt den Gesinnungsethiker in einem zucken, aber wenn man ihn, also den inneren Gesinnungsethiker, dann kurz mal ausschimpft, verzieht er sich in seine Ecke und hält die Klappe: Dass die FAZ einen Fernsehdreiteiler abfeiert, der anderswo "Das TV-Ereignis des Jahres" (SpOn 1), "eine Zeitenwende für das deutsche Fernsehen" (SpOn2) oder "grandioser Antikriegsfilm" (BLZ) heißt, dem die taz bescheinigt, er übertrage eine US-amerikanische "Art des Fernsehmachens" ins deutsche Programm, was als großes Lob zu verstehen sein dürfte, das ist doch letztlich typisch FAZ: wenn, dann richtig.

Update 10:30 Uhr: Nachzutragen wären vielleicht noch die Quoten: 7,22 Millionen Zuschauer ohne Mediathek, Marktanteil 20,1 Prozent.


ALTPAPIERKORB

+++ Tom Strohschneider, Chefredakteur des neuen deutschland, schreibt über linke Medien in analyse&kritik: "Titelübergreifende Onlineangebote? Eine gemeinsame Bezahlplattform im Netz? Mehr Kooperation bei technischen Dienstleistungen, beim Marketing und bei der Berichterstattung? Clubs von linken LeserInnen? Koordiniertes politisches Auftreten im Fall staatlicher Gängelung von linker Presse? Mag sein, dass all dies dann doch nicht geht oder überhaupt Quatsch ist. Aber mal ehrlich: Wann haben wir das letzte Mal gemeinsam darüber geredet?" Ja, redet doch mal +++

+++ Und ansonsten gibt es noch mehr zu den Öffentlich-Rechtlichen: Dieter Anschlag, Chefredakteur der Funkkorrespondenz (über die und deren drohende Einstellung ich für den Freitag geschrieben habe; derzeit noch nicht online) gab dem Deutschlandfunk am Wochenende seine Einschätzungen zur Lage durch: Die Aufregung über den RBB und den Einfluss nehmenden Regierungssprecher (siehe sehr umfassend und mit tieferer Kenntnis der regionalen Begebenheiten Potsdamer Neueste Nachrichten sowie heute etwa taz und Samstag und heute kurz die SZ) hält er demnach für etwas übertrieben. Gleichwohl berichtet der Spiegel, der das Thema vergangene Woche aufbrachte (siehe Altpapier) über einen anderen Fall, diesmal versuchte Einflussnahme beim SWR. Der Tagesspiegel greift die Spiegel-Geschichte auf: "Generalsekretär Patrick Schmieder habe sich Ende Februar per Brief beim SWR darüber beklagt, dass CDU-Landeschefin Julia Klöckner in der Berichterstattung benachteiligt werde. Beispielsweise sei sie beim Mainzer Rosenmontagsumzug, bei dem sie mitgelaufen war, 'totgeschwiegen' worden." Narhallamarsch! +++ Das ZDF ist Thema im Spiegel: weil ihm zum 50. Jubiläum die Stars abhauen, zum Beispiel Jörg Pilawa; außerdem soll die Carmen-Nebel-Show eingestellt werden +++

+++ Personalie des Wochenends: Peter Limbourg wird erwartungsgemäß Intendant der Deutschen Welle +++

+++ Anton Sahlender von der Mainpost antwortet Lesern, die über eine Konklave-Karikatur erbost waren +++

+++ Die SZ (S. 27) hat mit dem Kommunikationswissenschaftler Volker Gehrau darüber gesprochen, ob Skandalberichte über Politiker Politikverdrossenheit fördern und der Demokratie schaden: "Kurzfristig haben sie wohl auch eine zerstörerische Wirkung, weil Vertrauen in das politische System verloren geht. Aber dies ist nicht von Dauer. Wenn wir bei den etwa 20 Prozent bleiben, die im Parteispendenskandal Politikverdrossenheit als eines der drei wichtigsten Themen der Republik genannt haben, so sehen wir: Nach dem Skandal, etwa Ende 2000, geht der Wert wieder auf die vorher üblichen zehn Prozent zurück. Es bleiben keine Narben, das Niveau der Politikverdrossenheit steigt langfristig nicht an" +++

+++ FAZ bespricht die Serie "Boss" (Fox, 20.15 Uhr) +++ Die FAS schreibt schon ausführlich über die ZDF-Sitcom "Lerchenberg" (28.3. ZDFneo, 5.4. ZDF) +++ Außerdem thematisiert sie Katja Riemanns Auftritt bei "DAS!" und kommt zum Punkt, dass es sich bei der NDR-Sendung um "vollverblödetes Fernsehen für all die vollverblödeten Leute, die sich das ansehen", handle +++

+++ Und der Tagesspiegel schreibt über die Ufa-Initiative die-filmkiller.de +++

Das Altpapier gibt es wieder am Dienstag.

weitere Blogs

Ein mysteriöser Todesfall, das Mauern der Einheimischen und eine latente Homophobie begegnen einer lesbischen Pastorin bei ihrer Ankunft in einer ostdeutschen Kleinstadt. Aus der Großstadt bringt sie zudem ihre persönlichen Konflikte mit. Beste Zutaten für den Debütroman „In Hinterräumen“ von Katharina Scholz.
Nach 15.000 Kilometern und fünf Monaten ist Leonies Reise vorbei. Was bleibt? In ihrem letzten Blogbeitrag schaut sie auf ihre Erfahrungen zurück.

Vom Versuch nicht zu hassen. Biografische Streiflichter von gestern, das irgendwie auch heute ist.