Weil Gott nicht Manna regnen lässt

Weil Gott nicht Manna regnen lässt

Was haben Zeitungskrise und Klassenkampf miteinander zu tun? Was Facebook-Verweigerung und Soziopathie, was manch vermeintliche Pressefreiheitsfreunde mit Vergewaltigern? Außerdem in der letzten Kolumne vor Weihnachten: ARD-Programmdirektor Volker Herres äußert sich ausführlich zu allem, die beim ZDF zu sehende Serie „Downton Abbey“ bekehrt Kostümfilmhasser, und beim Kinderkanal wurden einst möglicherweise Aufwendungen für Partys als Produktionskosten abgerechnet.

Die meisten Betrachtungen zur Zeitungskrise sind von einem innermedienbetrieblichen Blickwinkel geprägt, auch viele jener Autoren, die im Detail Recht haben, sehen den Blätterwald vor lauter Bäumen nicht. Übergeordnete politische Analysen sind selten, eine der Ausnahmen war bisher ein vor einem Monat in der taz erschienener und auch im Altpapier gewürdigter Text Georg Seeßlens, in dem er schreibt:

„Wenn nun die bürgerlichen Zeitungen untergehen, dann nicht allein, weil ihnen die Leser verloren gehen, die sich Information und möglicherweise auch Ordnungen, Fortschritt, Selbstbewusstsein, Alltagsritual woanders holen, sondern auch, weil die Macht ihrer nicht mehr bedarf.“

Daran knüpft nun Kay Sokolowsky an, wenn er in konkret feststellt:

„Die herrschende Klasse braucht gedruckte Periodika nicht länger, um sich die Macht zu erhalten; sie muss ja keine Opposition mehr fürchten.“

Daran, dass sie sich nicht mehr fürchten muss, haben Journalisten keinen kleinen Anteil, mein Sokolowsky:

„Der Niedergang der Presse entspricht dem Aufstieg des Neoliberalismus, den wiederum die Presse nach Kräften unterstützt hat. Meinungen waren (...) noch nie so billig zu haben wie in den vergangenen zwei Jahrzehnten, als die bürgerlichen Medien im Chor das Evangelium des Marktes verkündeten und jeden verspotteten, der dem menschlichen Leben mehr Wert beimisst, als die blanke Verwertung es vermöchte. Nun walzt die Marktmaschine auch über die Presse hinweg und produziert Opfer, die bisher bloß leere Worte oder ein Achselzucken übrig hatten für jeden, der beim Rattenrennen auf der Strecke bleibt.“

Klingt da etwa Schadenfreude an?

„Man könnte darüber Schadenfreude empfinden, wäre das nicht die schönste Freude der Bourgeoisie. Vielleicht sind einige, die den Klassenkampf bislang für ein Gerücht aus der Vorzeit hielten, jetzt etwas klüger, obschon ihnen dies in ihrer Lage kaum helfen wird.“

Dass jene, die ihre Jobs behalten haben, jetzt etwas klüger sind, bezweifelt Sokolowsky. Sonst

„hätten die Angestellten von Gruner und Jahr sich ausnahmsweise solidarisch mit den Kollegen gezeigt und den Laden so lange lahmgelegt, bis für jeden Entlassenen eine neue Stelle geschaffen worden wäre.“

Aber mit der Solidarität unter Journalisten ist das ja so eine Sache. Unter arbeitskämpferischen Gesichtspunkten lobt Sokolowsky eine nicht mehr existierende Berufsgruppe: die Setzer. Die hätten gegenüber den Julia Jäkels von gestern jedenfalls einen angemessenen Ton angeschlagen.

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[+++] Man kann heute, wenn man in Sachen Zeitungen nostalgisch gestimmt ist, auch noch weiter in die Geschichte zürückgehen als in jene Zeit, als die Setzer aufmuckten. In der ersten Folge von „Downton Abbey“, die die die Geschichte einer britischen Adelsfamilie und ihres Personals erzählt, bekommt man gleich zu Beginn einen Eindruck davon, dass Zeitungen vor 100 Jahren so wichtig waren, dass die Diener sie für ihre Herrinnen und Herren bügeln mussten. Ist es in der Welt der Superreichen eigentlich heute üblich, dass den Hauspersonal morgens den iPad abwischt, bevor die Herrschaften den Qualitätsjournalismus des Tages goutieren?

Das Bügelmotiv ist in der ersten Staffel der Serie, die ZDF neo und das ZDF-Hauptprogramm ab heute bzw. Sonntag zeigen, Teil des „großen Auftakts, der schon auf alles anspielt, was in den kommenden acht Folgen (...) so szenisch üppig wie erzählerisch raffiniert aufgefaltet wird“ (Alex Rühle, SZ, Seite 31). „Jede Tätigkeit, jeder Gegenstand, sogar jede Uhrzeit ist mit Bedeutung aufgeladen“, schreibt Birgit Reuther im Hamburger Abendblatt. Und Jens Mayer lobt in der taz:

„Mit exzellenten Büchern, starken Charakteren, einprägsamen Bildern und einer behutsamen Inszenierung schafft es "Downton Abbey", selbst Kostümfilmhasser zu bekehren. Virtuos und trotzdem zuschauerfreundlich verknüpft sie das Schicksal der Adelsfamilie Crawley und ihrer Angestellten in einer Zeit der tiefgreifenden technischen, sozialen und politischen Veränderungen.“

Rühles Fazit lautet:

„Die Serie funktioniert nicht deshalb so gut, weil sie einen in eine glanzvolle Epoche entführt, sondern weil sie permanent eine Ähnlichkeit zu unserer Zeitenwende suggeriert: Die Globalisierung klingt schon im ersten Telegramm an, das ganze Klassensystem wird in Frage gestellt, der neue Chauffeur gehört der Arbeiterbewegung an, eines der Zimmermädchen versteckt eine Schreibmaschine, weil sie davon träumt, Sekretärin zu werden, eine andere verliebt sich in den schwulen Butler, am Horizont dräut der Erste Weltkrieg.“

Da gibt es fast nichts einzuwenden, nur dies: Inwiefern ist denn „unsere Zeitenwende“ dadurch geprägt, dass „das ganze Klassensystem in Frage gestellt wird“? Weiß Rühle da was, was Sokolowsky nicht weiß?

[+++] Leider nur selten, zum Beispiel zu Beginn dieses Carta-Artikels, in Frage gestellt wird das System der Journalistenpreise und Journalisten-Charts. Als pflichtbewusste Chronisten weisen wir trotzdem gern darauf hin, dass die Juroren des medium magazins den ARD-Redakteur Rolf-Dieter Krause zum „Journalisten des Jahres“ hier zu Lande gekürt haben und das Time Magazine den in Jerusalem lebenden AFP-Mitarbeiter Marco Longari zum besten Nachrichtenagenturfotografen des Planeten.

Eine neue Intellektuellen-Hitparade gibt es auch: Cicero präsentiert die 500 Mega-Geistesgrößen dieses Landes, und meedia.de zählt auf, wer die „Journalisten und Moderatoren mit Top-Platzierungen“ sind. Josef Joffe - er, im übrigen auch in der erwähnten konkret auf Seite 65 zu Ehren kommend, schon wieder! - hat es auf Platz 76 geschafft. Vergleicht man die zuletzt vor fünf Jahren erschienene Liste mit den aktuellen Ergebnissen, stößt man auf Dramatisches. Jedenfalls meedia.de:

„ARD-Mann Klaus Bednarz büßte 320 Plätze ein und landete auf Rang 451.“

Bednarz, insofern kein „ARD-Mann“ mehr, als er 2007 pensioniert wurde (was im übrigen auch den Absturz in den Cicero-Charts erklären könnte), ist zuzutrauen, dass er in seinem „Dorf bei Schwerin“ (KSTA in diesem Sommer anlässlich seines 70. Geburtstages) nichts mitbekommt von meedia.de. Selbst wenn: Wir gehen davon aus, dass er sich jetzt nicht ein Schwert in den Bauch rammt wegen der Schmach.

Da mir die Liste nur auszugsweise vorliegt - Cicero gab es gestern Abend nicht bei Edeka - weiß ich leider nicht, wie Volker Herres abgeschnitten hat (Nachtrag, 19.21 Uhr: Er ist nicht einmal drauf auf der Liste, ich bin einigermaßen schockiert). Der Funkkorrespondenz hat der ARD-Programmdirektor ein sehr ausführliches Jahresabschlussinterview gegeben, er redet über den „Tatort“, Talkshows, „Tagesthemen“-Anstoßzeiten und noch einiges mehr. Es finden sich Formulierungen, die nach Manager-Diplomatie klingen, aber auch als gemäßigter Schenkelklopfer funktionieren. Zum Beispiel Herres‘ Replik auf die Frage, ob es 2013 in der ARD  „eine Samstagabend-Show“ geben wird:

„Wir teilen mit Thomas Gottschalk die Erfahrung, dass man nichts überstürzen soll."

Hübsch auch dieser Dialog:

„Laut ARD ist der Bambi ‚der wichtigste deutsche Medienpreis‘. Das ist jedenfalls ein Zitat aus dem ARD-Trailer zur Bambi-Preisverleihung.“
Oh la la … ich persönlich schätze den Grimme-Preis sehr.“

Herres ist auch der Urheber unserer heutigen Headline:

„Weil Gott nicht Manna regnen lässt“,

gibt es nämlich für Dokumentationen weniger Geld als sich die Autoren wünschen.

[+++] Außerdem in der Funkkorrespondenz: Steffen Grimberg rekapituliert „das Krisenjahr der BBC“ (siehe auch Altpapierkorb vom Donnerstag), und eine Erwähnung ist das auch deshalb wert, weil es wohl Grimbergs letzter Artikel für das Fachblatt war. Als Redakteur eines öffentlich-rechtlichen Medienmagazins wird er für die FK wohl kaum noch in die Tasten hauen dürfen.

[+++] Gestern schrieb Grimberg noch für die taz über die Entwicklungen beim Kinderkanal (siehe Altpapier) Zu den Negativschlagzeilen, die der Sender mal wieder schreibt - weil unter anderem Geschäftsführer Steffen Kottkamp beurlaubt wurde -, findet man neuen Stoff im Hamburger Abendblatt

„Konkret geht es darum, dass über (...) Scheinrechnungen Aufwendungen für Feiern und Personal als Produktionskosten verbucht worden sein sollen. Konkret untersucht die Staatsanwaltschaft Vorgänge zwischen Mitte 2008 und 2010.“

In einem dpa/Tagesspiegel-Text wird Walter Kehr, der Sprecher des für den Kika zuständigen, indirekt mit den Worten zititert, „es handele sich nicht um neue Vorwürfe“. Mir fällt da ein Pressegespräch des Kika im Dezember 2011 ein, damals sagte Kottkamp mit Blick auf die Ermittlungen: „Es ist noch nicht ganz ausgestanden“, bei jeder juristischen Neuigkeit in der Betrugsaffäre werde „wieder alles hochkommen“. „Alles“ dann vielleicht doch nicht, aber ansonsten hat Kottkamp mehr Recht behalten als ihm lieb sein dürfte.

[+++] Mittlerweile online steht Frank Schirrmachers aktuelle Wortmeldung zur Suhrkamp-Causa. Der metamediale Aspekt besteht hier darin, dass der FAZ-Herausgeber gegen einen Artikel von Richard Kämmerlings aus der WamS anstinkt, ohne ihn - der Perlentaucher hat dies bereits gerügt - direkt zu erwähnen.

Der Suhrkamp-Affärenbericherstatter Kämmerlings hat auch mitgewirkt an einem bereits am Mittwoch im Hamburger Abendblatt veröffentlichten Text, auf den wir hier zwecks überregionaler Sichtbarmachung gern verweisen. Kai-Hinrich Renner (der auch den zitierten Kika-Artikel geschrieben hat) berichtet, der Suhrkamp-Geschäftsführungsgegner Hans Barlach sei „bei manchen Hamburger Mediengrößen persona non grata“. „Er ist kein ehrbarer Hamburger Kaufmann", sagt ein „G+J-Manager“, und auch „bei Bauer ist man (...) nicht sonderlich gut auf Barlach zu sprechen“ (Renner) - was wiederum mit Geld zu tun hat, das sich Barlach dort einst geliehen hatte, um weitere Anteile der Hamburger Morgenpost zu kaufen.

Das Problem dabei ist, dass es nicht unbedingt gegen Barlach spricht, wenn er bei solchen „Hamburger Mediengrößen persona non grata“ ist. Wie auch immer: Wenn bei Suhrkamp ein Mann uns Ruder käme, der mal „die dümmste Zeitung der westlichen Welt“ (Hermann L. Gremliza vor ein paar Jahren über die Morgenpost) verlegt hat - das wäre doch der Untergang des Abendlandes in einer Inszenierung, wie sie Christoph Schlingensief nicht einmal in seinen wildesten Tagen hinbekommen hätte.


ALTPAPIERKORB

+++ The Atlantic erzählt auf eindringliche Weise die Geschichte des im Irak-Krieg eingesetzten Fotografen Ashley Gilbertson - und von seinem heutigen Kampf gegen die posttraumatische Belastungsstörung.

+++ Ein Muslimhasser, der einen Anschlag auf eine Moschee verübte, bei dem glücklicherweise niemand verletzt wurde, hat vor Gericht ausgesagt, alles, was er wisse, wisse er von Murdochs Propagandasender Fox News und aus dem Radio (Dangerous Minds).

+++ „Wieso müssen die Kinder von Josef Fritzl mit neuer Identität leben, lange Zeit belauert von einer Paparazzi-Meute, die von Pressefreiheit spricht, wie der Vergewaltiger von freier Liebe?“ Diese Frage formuliert der frühere Zeit- und jetzige Falter-Redakteur Florian Klenk im Rahmen seiner „grundsätzliche Gedanken über die Rolle der Medien in Strafverfahren“, und sie ließe sich auch verallgemeinern, denn solche Pressefreiheitsfreunde findet man ja nicht nur unter den Paparazzi.

+++ Über Frank Hoffmann, den neuen Geschäftsführer von RTL Television, der bisher bei Vox an der Spitze stand, schreibt die FAZ (Seite 33): Das RTL-Programm „dürfte bei Hoffmann in guten Händen sein. Während RTL in diesem Jahr so viele Zuschauer wie kein anderer deutscher Sender eingebüßt hat, zählt Vox zu den Gewinnern“. Man erfährt aus dem Artikel auch, dass Hoffmann - wie RTL-Gruppenchefin Anke Schäferkordt - Ostwestfale ist. Was auch immer das bedeuten soll (falls es etwas bedeutet).

+++ Fernsehen norwegischer Art: Christoph Biermann - ein Westfale, aber kein Ostwestfale - berichtet in der heute erscheinenden Januar-Ausgabe von 11 Freunde (ab Seite 105) über die humorige Sportsendung „Golden Goal“, mit der der Sender TV2 eine Quote zwischen 35 und 40 Porzent erreicht, also sogar mehr als beispielsweise „Downton Abbey“ in Großbritannien („bis zu 33 Prozent“). In der Show laufen Filme, in denen Ex-Spieler „beim Kicken immer wieder durch Elektroschocks gestoppt“ werden oder „mit umgedrehten Ferngläsern vor den Augen“ auf dem Rasen agieren. Liest sich zwar schrecklich, trotzdem scheint die Show nicht schlecht zu sein, wenn wir Biermann richtig verstehen. Und „die Japaner und Chinesen prüfen gerade, ob sie das Konzept kaufen sollen“.

+++ Von der Krisenfront (I). „Eine private Initiative zur Rettung (des Geistes) der FTD!“ hat sich bei Facebook formiert. Dass in der siebenzeiligen Projektbeschreibung fünf Kommafehler zu finden sind, stimmt nicht unbedingt euphorisch.

+++ Von der Krisenfront (II): „Wir werden den Alltags-Teil leider um vier Seiten reduzieren müssen“ - das ist eine der Auswirkungen der Einsparungen beim Freitag. Der Herausgeber Jakob Augstein berichtet höchstpersönlich.

+++ Gut geht es dagegen Wolfram Weimer, der, wie die SZ berichtet, nun das Monatsblatt Wirtschaftskurier erworben hat. Nie gehört von der Postille? „Der Wirtschafskurier ist ein sogenanntes Pflichtblatt der Börse München“, erklärt uns Rupert Sommer.

+++ Über Durchsuchungen bei der Deutschen Bank, die im Zusammenhang mit dem Kirch-Prozess stehen, schreibt ebenfalls die SZ.

+++ Noch ein Hinweis auf einen SZ-Artikel: Im Feuilleton nimmt Christoph David Piorkowski die mediale Erwähnung der Tatsache, dass der Mehrfachmörder von Newtown kein Facebook-Profil hatte, zum Anlass zu betonen, dass ein Facebook-Verweigerer nicht zwangsläufig ein Soziopath sei. Der Autor beklagt: „Der Social-Network-Abstinenzler macht sich heute zusehends verdächtig. Vor allem in den USA ist das fehlende Facebook-Profil nicht selten ein Ausschlusskriterium für den Zugang zu manchem Berufsfeld, weil die Chefs der Personalabteilungen anscheinend verborgene Abgründe vermuten (...) Auch in Deutschland (...) ist für viele Firmen die fehlende Webpräsenz ein Manko.“

+++ Das Informationsfreiheitsrecht sei das „Stiefkind des Verwaltungsalltags“, schreibt Petra Sorge in ihrer Cicero-Online-Medienkolumne.

+++ Und dieser Pornospacken, der gerade gegen Springers Welt verloren hat (siehe Altpapier) scheint generell sehr rechtsstreitlustig zu sein, jedenfalls ist er auch gegen den Spiegel vorgegangen, was dessen Rechtsabteilung im Spiegelblog einigermaßen launig dokumentiert.

Neues Altpapier gibt es erst wieder am kommenden Donnerstag (27. Dezember).

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