Uschi Glas ist Stammgast

Uschi Glas ist Stammgast

"Ein Herz für Kinder" beweist Bild und nennt die vollen Namen aller Opfer des Newtown-Amoklaufs. Die Live-Berichterstattung darüber war international ziemlich fehlerdurchsetzt, was weniger gegen einzelne Kollegen spricht als gegen Amoklauf-Liveticker. Eine erste Aufbereitung des medialen Geschehens.

Eine Schießerei in einer Grundschule. Das war natürlich Glück Pech für Bild. "Bild-Vize" Alfred Draxler kommentierte am Samstag:

"Wir in der Redaktion von BILD waren mitten in der Produktion unserer Samstags-Ausgabe. Wir waren voller Vorfreude auf die große Spenden-Gala im ZDF zu Gunsten der BILD-Hilfsorganisation 'Ein Herz für Kinder'. Die große Überschrift auf der 1. Seite war schon fertig. Sie hieß: 'Deutschland zeigt ein Herz für Kinder!' Um 17.35 Uhr meldete die Deutsche-Presse-Agentur: 'Schießerei in US-Grundschule!' (...) Während der Sendung heute Abend im ZDF werden wir jede Sekunde an die Opfer des Massakers in Amerika denken. Und an ihre Familien."

Man soll sich ja angeblich nicht so viel über Bild aufregen, weil die Kritik an Kleinigkeiten schnell überzogen wirkt und dann keine mehr da ist, wenn wirklich mal was los ist. Aber den Massenmord an Grundschülern zu benutzen, um eine Spendengala zu promoten, bei der die eigene Verlegerin in der ersten Reihe sitzt und das Logo der eigenen Zeitung als Kulisse dient, das ist schon herausragend ekelhaft.

Na ja: Aber die Gala war dann wirklich supi, wie u.a. die BZ am Sonntag (S. 14/15) und die Bild am Sonntag (S. 84/85) berichteten. Nazan Eckes war da, Boris Becker, die "Bild-Vizes Marion Horn und Alfred Draxler" (BamS), Kai Pflaume, die tolle Uschi Glas ("ist Stammgast") u.v.a.;    "Simone Thomalla zeigt Herz"    (BZ),   "Friede Springer begrüßt Goldie Hawn"   (BamS),  "Knipste fleißig: Johannes B. Kerner"  (BZ),  "Moderator Jörg Pilawa mi  t Kindern auf der Bühne"  (BZ). "Familienministerin Kristina Schröder wollte wegen des Massakers erst absagen, 'aber gerade heute ist es wichtig, hier zu sein'" (BamS). Und "Friede Spr inger war begeistert von Mette-Marit" (BamS).

Überhaupt, Prinzessin Mette-Marit ("mit Flug 8247" angekommen): Die Bild am Sonntag nannte sie konsequent eine "studierte Entwicklungshelferin" bzw. schrieb, sie habe "in London Entwicklungshilfe studiert". Mette-Marit hat laut Wikipedia allerdings den Studiengang Entwicklungspolitik absolviert, und der Unterschied zwischen Entwicklungshilfe und Entwicklungspolitik ist jener, der bei schleimigen Galen Galas wie "Ein Herz für Kinder" untergeht: Die Entwicklungspolitik arbeitet letztlich an der Verflüssigung des Status Quo. Bei Entwicklungshilfe-Clownerien wie Spendengalengalas geht es um dessen Verfestigung: Die anwesenden Teile der Mediensociety versichern sich in strategischer Demut ihrer eigenen Großmütigkeit, zeigen sich "betroffen" und walzen, schön hierarchisch von oben nach unten, ihre guten Zwecke breit. Aber letztlich ist das alles affirmativer Quark. Man kann ein paar lachende Kinder beim Geknuddeltwerden zeigen, aber letztlich ändert sich gar nichts, im Gegenteil, es sind ja erst einmal wieder alle ruhig gestellt. Etwas Unpolitischeres als eine Fernsehspendengala, bei der die ganze Zeit alle so furchtbar mit- und füreinander tun, ist schwer vorstellbar.

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+++ Wenn man aus der Berichterstattung über einen Amoklauf etwas für die Zukunft mitnehmen kann, dann ist es im Fall von Newtown/Connecticut: Live-Formate, egal ob Ticker oder Fernsehbericht, eignen sich für Fußballspiele besser. Anders gesagt: Sie eignen sich für die Berichterstattung über ergebnisoffene Prozesse. Weniger für die Berichterstattung über das Zustandekommen von Ereignissen, die aber bereits weitgehend abgeschlossen sind.

Und der Schaden des Echtzeitwettbewerbs um die besten Tathergangs-Rekonstruktionen war am Freitag dann doch für mindestens einen Mann beträchtlich:

"Das beste Beispiel dafür, wie fehlerhaft die Berichterstattung seitens traditioneller und nicht-traditioneller Player war, war die Identifikation [eines Mannes] als Schütze und die anschließende öffentliche Verbreitung von dessen Facebook-Profil",

schreibt – hier ins Deutsche übersetzt – Mathew Ingram auf gigaom.com. Der Name des Täters, der nicht der Täter war und der dennoch zwischenzeitlich so gut wie feststand, wurde, so rekonstruiert die Huffington Post die medialen Zusammenhänge, von CNN zuerst genannt. Offenbar hatte der Täter den Ausweis seines Bruders dabei, so dass zunächst der Bruder von der Polizei als Täter identifiziert und sogar genannt worden war. Natürlich erklärt das den kollektiven Fehler; wer kann mit Sicherheit behaupten, er hätte ihn unter diesen Umständen und dem vorhandenen Zeitdruck selbst nicht gemacht? Die Gründe, die für Live-Berichterstattung über einen Amoklauf sprechen, werden allerdings dadurch nicht überzeugender. News is chaotic, schreibt Ingram. Es folgte ein großes Zurückrudern, von dem auch deutsche Onlinemedien nicht ausgenommen blieben. Bei Bild Online – nur beispielhaft gewählt – wurde der Name des falschen Schützen mittlerweile gelöscht. Sueddeutsche.de verbesserte am Freitag um 22 Uhr transparent:

"Wir müssen uns korrigieren. Auch wir haben im Laufe unserer Berichterstattung dem Täter fälschlicherweise den Namen seines Bruders gegeben, der von der Polizei befragt wurde – genau wie mehrere US-Fernsehsender (unter anderem CNN und CBS) und Zeitungen (unter anderem New York Times und Wall Street Journal). Genauso wie die Kollegen beriefen wir uns auf die offizielle Bestätigung der Behörden. Jetzt geben sie bekannt: Der Täter ist sein Bruder Adam. Wir haben den Namen in diesem Liveblog durchgängig korrigiert."

Andere Berichterstattungsfehler sind hier und da noch in den Freitagstexten stehen geblieben: Die Mutter des Täters sei Lehrerin an der Schule in Newtown gewesen, hieß es etwa zunächst; am Samstag hatte sie dann zwischenzeitlich "womöglich an der Sandy-Hook-Schule" gearbeitet. Seit Sonntag heißt es:

"Am Samstag wurde bekannt, dass entgegen ersten Berichten die Mutter laut Polizei keine Beziehung zu der Schule hatte."

Man könnte so weitermachen. Vielleicht kann man es auch so sehen: Live-Ticker zeigen Journalisten bei der Arbeit. Sie zeigen, wie es zugeht, wie gerungen wird um jedes Fitzelchen Zusatzinformation; wie journalistische Fremdquellen durchforstet, Bestätigungen gesucht werden, um seine Leser schneller – oder zumindest nicht wesentlich langsamer – als andere zu informieren, warum auch immer. Aber: "Solche Live-Ticker haben keine journalistische Funktion: Sie befriedigen die Neugier des Publikums, aber können schon ihrer Natur nach keinen journalistischen Nutzen generieren", heißt es bei wiesaussieht, wobei die Diskussion unter dem Text besonders zur Lektüre zu empfehlen ist.

Dort findet sich auch der Verweis auf einen Spiegel-Online-Text, den man in ein gängiges Medienprozedere einordnen kann: der Versuch der Erklärungen auf Kausalketten- und Indizienbasis, der jedesmal wieder daneben geht. Egoshooter waren diesmal wohl nicht zu finden, nun wird das Asperger-Syndrom erklärt, an dem der Täter gelitten haben soll. Es ist ein sachlicher Text, und doch musste der Artikel mittlerweile um einen Zusatz ergänzt werden:

"Einige Leser haben in diesem Text offenbar eine Gleichsetzung von Menschen mit Autismus und Mördern erkannt. Eine solche völlig abwegige Gleichsetzung ist selbstverständlich nicht gemeint. Der Text weist ausdrücklich darauf hin, dass selbst eine Störung keine Erklärung für eine grausame Tat wie in Newtown sein kann."

Warum aber wurde der Artikel im Zusammenhang mit dem Amoklauf von Newtown veröffentlicht, wenn kein Zusammenhang impliziert werden soll? Weil man Erklärungen jetzt veröffentlichen will – in einer Woche interessieren sie nur noch Fachleute. "Rituale überforderter Medien" heißt der Feuilletontext der FAZ zum Thema. Nina Rehfeld hebt darin zum einen ebenfalls auf den Vorrang der Geschwindigkeit vor der Genauigkeit ab; zum anderen berichtet sie von US-amerikanischen Freunden, die den Fernseher extra nicht eingeschaltet hätten:

"Vielleicht war es das zu oft wiederholte Ritual der Berichterstattung von Amokläufen, die immer gleichen Fragen, Augenzeugenberichte, Polizeipressekonferenzen, die hilflose Erklärung der Toten zu Helden, die Wiederholung von Begriffen wie 'Desaster' und 'Katastrophe', das dem Geschehen einfach nicht gerecht werden wollte. Doch Fassungslosigkeit schien zunächst stärker zu wiegen als der Drang, das Schreckliche einzuordnen, die Hintergründe zu erforschen und irgendwie zu verstehen, warum dies passiert war."

Wobei: eine Art Verteidigung des Live-Tickers als "das letzte große Abenteuer im Journalismus" schreibt Constantin Seibt im Deadline-Blog (der damit ein Buch vorstellt, mit dem er zu tun hatte):

"Den perfekten Live-Ticker kennt niemand. Weil ihn noch niemand geschrieben hat. Und gerade deshalb ist diese Form reizvoll. Denn ein wirklich guter Live-Ticker gleicht den Abenteuern, über die man in seiner Jugend gelesen hat: der Entdeckung Amerikas, der Erforschung der Nilquellen, der Erstbesteigung des Mount Everest."

+++ Zurück zur Newtown-Berichterstattung: Eine weitere Diskussionsfrage, die sich auch diesmal wieder stellen wird, lautet: Darf man Bilder und Namen von Opfern veröffentlichen? Es gibt ja eigentlich zur Behebung aller Unsicherheiten in Redaktionen, falls dort vorhanden, einen Leitfaden zur Amokberichterstattung – Empfehlungen des Presserats –, in dem es heißt:

"Die Veröffentlichung von Porträtfotos der Opfer kann im Einzelfall im Kontext einer sachlichen Dokumentation erlaubt sein. Vollständige Namen dürfen jedoch nicht genannt werden. Die Nennung von persönlichen Details (Beziehung, Hobbies etc.) ist nicht zulässig. Das Herausheben eines einzelnen Opfers ist ohne Zustimmung der Angehörigen nicht erlaubt."

Bild Online ("Das sind die Opfer des Wahnsinns-Killers", wobei Wahnsinns-Killer natürlich was impliziert?) hebt drei tote Kinder heraus, nennt zu ihnen persönliche Details (Verwandtschaftsbeziehungen, Hobbies) und die vollen Namen aller Opfer. "Behörden veröffentlichten die Liste der Toten", heißt es dazu, als ob das bedeuten würde, dass man sie selbst veröffentlichen muss. Herz für Kinder und so.


ALTPAPIERKORB

++ Die SZ berichtet über den Ottfried-Fischer-Bild-Prozess – Anlass ist, wie kürzlich in der FAZ (siehe auch Altpapier vom Freitag), das Gutachten von Winfried Hassemer, dem ehemaligen Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts. Die SZ liest es deutlich kritischer: "Hassemer, der mit Friede Springer gut bekannt ist, beklagt, dass die 'verfassungsrechtliche Argumentation in diesem Verfahren bislang unterbelichtet geblieben' sei; er hält den Bild-Mann sogar für einen 'sorgfaltsgemäß handelnden Journalisten'. Eigentlich geht es um Geld und Dreck und die vielfältige Bedeutung des alten Begriffs der Klatschpresse" +++ Die Entscheidung für den gemeinsamen Jugendkanal mit der ARD sei seitens des ZDF noch nicht fix, schreibt die Funkkorrespondenz  +++

+++ Fernsehserien-Wochenende: Die ganze Medienseite widmete die Süddeutsche am Samstag der je knappen Vorstellung US-amerikanischer Serien wie "Homeland", "Breaking Bad", "Entourage" und "Boardwalk Empire" +++ Die FAS legte am Sonntag nach mit einem Text über Oliver Stones "Untold History of the United States" +++ Und was zum Draufklicken gibt es auch: Spreeblicks hübschen Verriss der zwar US-amerikanischen, aber auf Dauer trotzdem sagenhaft depperten Serie "The Walking Dead": "Das ist alles so blöde, dass die tollen Bilder kaum über die hanebüchene Geschichte hinweg täuschen" +++

+++ Der "Presseclub" wurde 25, hurrachen, und Tagesspiegel, Berliner Zeitung und FAS (klein) schreiben darüber +++

+++ Nachdem ein Investor für dapd, Ulrich Ende, gefunden ist (siehe BLZ vom Freitag), erwägt er im Spiegel-Kurzinterview eine Umbenennung und verrät seine Mitinvestoren nicht, "aber es ist kein großer Name aus der Medienszene dabei" +++

+++ Die Frankfurter Rundschau ist ebenfalls Thema im Spiegel (der seinen großen Medientext der Frage widmet, ob Helmut Berger das Dschungelcamp durchsteht): "Bittere Folgen hat die Insolvenz vermutlich für mehrere Mitarbeiter, die bereits im Jahr 2011 freiwillige Aifhebungsverträge unterschrieben, die Zahlung ihrer Abfindung jedoch auf Anfang 2013 verschoben hatten" – das Geld könnte mit der Insolvenzmasse untergehen +++

+++ Die taz berichtet über das Ende des Breuer-Kirch-Prozesses +++ Der Tagesspiegel berichtet über den kleinen Facebook-Wettbewerb von SZ und Zeit – Anlass ist, dass das mit dem Tagesspiegel verschwesterte Zeit-Magazin mit dem Foto eines Schneehasen vorne liegt +++

+++ Im Fernsehen: "Glückwunsch, Glotze" (NDR, 23 Uhr) wird besprochen von Tagesspiegel und FAZ +++ "Obendrüber da schneit es" (ZDF, 20.15 Uhr) von der FAZ und der SZ +++ Und von der taz "Wir könnten auch anders (ZDF, 0.30 Uhr) +++

+++ Altpapier-Autor René Martens schreibt im Freitag über die Springer-Illustrierte Kristall, mit der der Verlag "einst gestartet war: "Das Blatt hatte auf ein geschöntes Bild der Wehrmacht Wert gelegt" +++

Das Altpapier gibt es am Dienstag wieder.

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