Die Queerness des 01. Mai

Lesbisches Paar
Getty Images/iStockphoto/sibway
Eine queere Spur am Tag der Arbeiter*innenbewegung
Die Queerness des 01. Mai
Was hat der 01. Mai mit queerer Theologie zu tun? Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Queerness immer schon Teil der Arbeiter*innenbewegung war. Und weil die Lesbian Visibility Week erst gestern zu Ende gegangen ist, nimmt der Beitrag ein Beispiel aus der lesbischen Geschichte auf.

Heute ist 01. Mai – international auch bekannt als "Tag der Arbeiter*innenbewegung". Dieser Tag geht auf den 01. Mai 1886 zurück, an dem die Gewerkschaften am Haymarket in Chicago (USA) einen breiten Streik im Kampf für einen 8-Stunden-Arbeitstag organisierten. Die Polizei griff hart durch. Die Situation eskalierte und viele verloren an diesem Tag, der als „Haymarket Riot“ in die Geschichte einging, ihr Leben. Der 01. Mai aber blieb als Streik- und Kampftag erhalten und wurde 1919 sogar in Deutschland zu einem staatlich anerkannten Feiertag. Der internationalen Arbeiter*innenbewegung haben wir viel zu verdanken: einen 8-Stunden-Arbeitstag, Mindestlöhne, Arbeitsschutz, Kündigungsschutz im Krankheitsfall, einen freien Samstag u.v.m. Aber was hat der 01. Mai mit queerer Theologie zu tun? Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Queerness immer schon Teil der Arbeiter*innenbewegung war. Und weil die Lesbian Visibility Week erst gestern zu Ende gegangen ist, schauen wir uns doch ein Beispiel aus der lesbischen Geschichte an.

Wenn eine junge Frau in den USA der 1960er Jahre ihr (inneres) Coming-Out hatte, gab es für sie ein geflügeltes Wort "Go and follow a Butch around until she goes into a bar. There you will find your people". Übersetzet heißt das so viel wie: "Geh und folge einer Butch so lange, bis sie in eine Bar geht. Dort wirst du deine Leute finden". Bars. Das waren die Orte, an denen sich lesbische Frauen und gender-non-conforming Menschen trafen. Wer nicht genug Geld hatte, um sich in den eigenen Vier-Wänden Privatsphäre zu leisten, um dort eigene kleine lesbische Zirkel aufzubauen, der traf sich eben draußen – in Bars. An diesem vulnerablen öffentlichen Orten bildete sich bald die Butch-Femme-Szene heraus: Mit den sich maskulin präsentierenden Butches, in ihren Anzügen und mit ihren Krawatten, die tagsüber in den Fabriken oder Häfen arbeiteten, auf der einen Seite und den sich feminin präsentierenden Femmes auf der anderen Seite. Die Femmes, die nicht selten in ihrer prekären Situation Sexarbeit nachgingen. Abends in den Bars konnten sie alle die Härte und Gewalt des Tages für einen Moment vergessen und sich einander im Flirten und Tanzen auf Augenhöhe begegnen. Ein Fluchtort mitten in der Stadt. Wer einen lebendigen Eindruck dieser Zeit bekommen möchte, der lese den Roman "Stone Butch Blues" (zu deutsch: "Träume in den erwachenden Morgen") von Leslie Feinberg. Feinberg beschreibt mit Verve, wie sich die Butches in diesen Jahren anfingen gewerkschaftlich zu organisieren. Welchen Mut es brauchte, um in die Gewerkschaften zu kommen. Welche Vorurteile ihre heterosexuellen, cis männlichen und cis weiblichen Genoss*innen abbauen mussten. Und wie wichtig die gewerkschaftlich abgesicherten Arbeitsplätze waren. Denn jede abendliche Razzia in der Bar bedeutete nicht selten eine physische und/oder sexualisierte Gewalterfahrung, eine Nacht in der Zelle und der potenzielle Ausfall am Arbeitsplatz am nächsten Tag. Und wer nicht organisiert war, dem wurde gekündigt. Ein gewerkschaftlich abgesicherter Arbeitsplatz bedeutete aber nicht nur eine Existenzgrundlage für die Butches, sondern oft auch für die Femme–Butch Paare. Denn ein festes Einkommen ermöglichte auch den Femmes den (temporären) Ausstieg aus der nicht selbst gewählten Sexarbeit. 

Und genau hier kreuzen sich die Verletzlichkeit einer queeren Community und die Arbeitskämpfe der jeweiligen Zeit. Darum gehört der Tag der Arbeiter*innenbewegung zu der queeren Community und die queere Community gehört zum Tag der Arbeiter*innenbewegung. Auch heute noch. Denn die Bewegung besteht eben nicht bloß aus einer Gruppe weißer Männer in Blaumännern, sondern aus allen Lohnabhängigen, die ihre Arbeitskraft für Geld verkaufen – sei es für Kopfarbeit, sei es für manuelle Arbeit. Es sind die sprichwörtlichen 99%. Viele prägende Denker*innen der queeren Theologie haben diese Schnittmenge übrigens selbstverständlich als grundständige Kritik gefordert: "Was dringend notwendig ist, ist nicht eine Verbesserung der gegenwärtigen Theologie durch einige Zusätze wie geschlechtliche und sexuelle Gleichberechtigung, sondern eine Theologie mit einer ernsthaften queeren materialistischen Revision ihrer Methoden und Doktrinen." (Marcella Althaus-Reid, Queer God, 148, Übersetzung ST).

 

 

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